Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
(wobei Macht und Verantwortung Zwillingsbrüder sind, die ohne einander nicht existieren können) und der Realisierung ihrer nominalen Parteiprogramme vor.
Etwas anderes ist es, dass Wladimir Putin im Unterschied zu Boris Jelzin ein Geschäftsmann ist und seiner Psyche nach ein Unternehmer. Besser als sein Vorgänger versteht er das Wesen und die Wirklichkeit der Korruption.
In dieser Hinsicht war die sogenannte systemfeindliche Opposition nicht zu beneiden. Sie befand sich außerhalb des Parlaments, war aber recht stark in den Massenmedien vertreten und versuchte, sich zum Hauptorganisator der Massenproteste auf dem Bolotnajaplatz und dem Sacharowprospekt zu erklären, die im Dezember 2011 nach den Wahlen der Abgeordneten zur Staatsduma, den schmählichsten in der postsowjetischen Geschichte, alle Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Eine Opposition außerhalb des Systems – die also in den legalen Machtorganen einschließlich der Staatsduma nicht vertreten war – hat es schon immer gegeben, sogar in der sowjetischen Zeit. Eigentlich konnten während der gesamten Zeit des kommunistischen Regimes nur Systemgegner oppositionelle Ansichten äußern – zumindest bis 1990, als das faktische Mehrparteiensystem durch die Abschaffung von Artikel 6 der Verfassung der UdSSR über das politische Monopol der KPdSU legalisiert worden war. Unter diesen Regimegegnern dominierten Bürgerrechtler und Kämpfer für die Interessen verschiedener ethnischer »Minderheiten«, die in der UdSSR angeblich verfolgt wurden. (In Wirklichkeit hat die sowjetische Macht meiner Meinung nach die Institutionalisierung ganzer Nationen befördert, die ohne ihre direkte Einwirkung und ihren Einfluss nie entstanden wären. Hätte es die Revolution von 1917 nicht gegeben, wüsste die Welt bis heute nicht, dass es zum Beispiel Kirgisen gibt.)
1990 war die auffallendste oppositionelle Struktur außerhalb des Systems die Nationalbolschewistische Partei (NBP), eine Erfindung des bekannten Schriftstellers Eduard Limonow (Sawenko), Autor der furiosen Romane Fuck off America, Tagebuch eines Pechvogels und Der Henker. Eigentlich hat man die NBP mehr als Art-Projekt von Limonow denn als politische Organisation gesehen, und sie war es womöglich auch. Aber die Verfolgung der Nationalbolschewiken war durchaus kein Pappenstiel, wirkte ganz und gar unliterarisch und war ernst gemeint, besonders zu Putins Zeiten. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gingen sowohl Limonow als auch einige Dutzend seiner Mitstreiter den Weg durch die Gefängnisse.
Eine neue Opposition außerhalb des Systems entstand 2005, als eine Gruppe russischer Medienstars – unter denen die Journalisten Julia Latynina und Sergei Parchomenko hervorzuheben sind – das sogenannte Komitee 2008 gründete. Zu ihrem Vorsitzenden wählten sie den Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow. Das Komitee 2008 stellte sich die ambitionierte Aufgabe, die Operation »Nachfolger« von 2008 zu verhindern. Allerdings wurden die Aktivitäten dieser informellen Struktur recht bald eingestellt. Zum einen lag es daran, dass die Leute vom Komitee keinen Lösungsplan für ihre Aufgabe finden konnten, zum anderen hatte sich herausgestellt, dass das Schachspiel etwas Individuelles und kein Mannschaftssport ist und dass Garri Kasparow als Einigungspolitiker nicht sonderlich taugt, weil er ganz klar und deutlich nicht in der Lage ist, den Ball weiterzuspielen.
Ein viel gewichtigeres und pompöseres Experiment wurde 2006 unternommen. Damals schufen die »Systemgegner« praktisch in voller Besetzung die Koalition »Anderes Russland«. Ihren Gründungskongress veranstalteten sie im Zentrum von Moskau, im Fünf-Sterne-Hotel Renaissance auf dem Olimpijskiprospekt. Vorsitzende von »Anderes Russland« wurden Garri Kasparow, Eduard Limonow und der ehemalige Ministerpräsident des Landes Michail Kassjanow, der dem Projekt zu zusätzlichem Glanz und allgemeiner Anerkennung verhalf. (Kassjanow ist bekannt als Politiker, der sich gut zu kleiden und teure Brillen richtig zu tragen weiß.) Selbst der Autor dieser Zeilen gehörte zu den aktiven Teilnehmern der Gründungsveranstaltung und hielt dort eine flammende Rede.
Zu jenem Zeitpunkt waren die Erinnerungen an die »Orangene Revolution« in der Ukraine (2004) noch frisch. Für einen langen Zeitraum wurde sie für die russischen maßlosen Oppositionellen zum Musterbeispiel. Und der Geruch dieser Revolution schwebte über den Versammelten im Hotel Renaissance, ähnlich wie der
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