Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
sollte rechtzeitig zurücktreten, und wenn man in die Situation einer typischen Perestroika gerät, darf man nicht ins Schleudern kommen und sich drehen und winden, um die »nicht existierende Zeit in die Länge zu ziehen« (wie Nadeshda Mandelstam, die legendäre Witwe des großartigen russischen Poeten Ossip Mandelstam, über ihren Zeitgenossen Leonid Breschnew sagte). Vielmehr sollten radikale Reformen von oben durchgeführt werden, die den Lauf der Ereignisse vorwegnehmen, wofür die Macht allerdings die Qualitäten eines kollektiven Prometheus aufweisen muss und kein Epimetheus sein darf.
Im selben scheußlichen und für viele unverständlichen Jahr 2012 begann die sogenannte »Sumpf-Strafsache« (Bolotnajaplatz bedeutet »Sumpfplatz«). Es war der Prozess gegen zwölf Philister, die des Versuchs einer Massenaufwiegelung und des Aufrufs zum Sturz der bestehenden Ordnung während der Massenaktionen auf dem Bolotnajaplatz am 6. Mai angeklagt waren. Zu dieser Aktion waren nach der Stille der ersten vier Monate dieses seltsamen Jahres fast 100 000 Teilnehmer zusammengekommen. Damit lag sie hinsichtlich der Stärke auf Platz zwei nach der Aktion auf dem Sacharowprospekt 2011.
Es gibt den Verdacht, dass die Mitorganisatoren der Veranstaltung, darunter Alexei Nawalny und der Anführer der »Linken Front« Sergei Udalzow, sich von vornherein nicht auf eine friedliche Demonstration beschränken wollten und eine »Meuterei« geplant hatten. Zumal diese mit der dritten Amtseinführung von Wladimir Putin am 7. Mai verknüpft war, welche der Aktion auf dem Bolotnajaplatz unmittelbar voranging. Mittlerweile ist es offensichtlich, dass die Organisatoren das Programm mit einer Störung der Amtseinführung als symbolische Geste kulminieren lassen wollten, um die Legitimität von Putins Regime im Ganzen infrage zu stellen.
Dafür waren lange im Voraus für die zornigsten unter den Aktivisten nach der formalen Beendigung der Aktion Zelte gekauft worden. Nawalny und Udalzow verletzten den vorgesehenen Ablauf dieser Versammlung, indem sie sich auf den Asphalt des Bolotnajaplatzes setzten und damit die Sondertruppen der Polizei, die die Versammelten umzingelte, zu einer Auseinandersetzung mit den Demonstranten provozierten. Die Polizisten wurden mit Steinen und Asphaltstücken beworfen, was den Grund für die nachfolgenden Beschuldigungen lieferte.
Dennoch wusste Wladimir Putin allem Anschein nach bereits am Vortag, dem 5. Mai, von den Plänen der Oppositionellen, »Radau zu machen«, denn die Telefon- und sonstigen Gespräche der potenziellen Organisatoren des »Radaus« wurden vom Geheimdienst überwacht. Besonders verärgert war WWP über die Konzeption, seine Amtseinführung zu stören, was seiner Meinung nach nicht nur jegliche juristischen, sondern auch alle moralischen Grenzen überstieg.
So wurde beschlossen, am 6. Mai eine Gruppe von gewöhnlichen Bürgern, die »Weichensteller« zu verhaften, die »Anführer des nationalen Protests« jedoch nicht anzurühren. Vorerst. Damit wollte man den gewöhnlichen Teilnehmern von Protestaktionen klar und deutlich zu verstehen geben: Ihr werdet von euren Organisatoren, diesen frühreifen Anführern, betrogen. Sie verschweigen euch ihre wirklichen, extremistischen Pläne, provozieren Gewalt und bringen euch damit unter den Schlagstock der Repressionsmaschinerie des Staates, während sie selbst sich vor der Verantwortung drücken.
Diese Entscheidung wurde auch realisiert. Der »Sumpf-Prozess« dauert bis zum heutigen Tag an, und obwohl der Staat keine überzeugenden Beweise gegen die Philister vorbringen konnte, sind immer noch zehn der zwölf Beschuldigten hinter Gittern. Wenn auch zu beobachten war, dass die Anführer der Opposition den »Sumpf-Häftlingen« ihr pflichtgemäßes Mitgefühl ausdrückten, sind sie subjektiv am Andauern des Prozesses interessiert und sogar – horribile dictu! – an maximal harten Strafen. Denn solange der Prozess andauert, bekommen die prominenten Oppositionellen ständig den Ball für neue PR-Aktionen zugespielt.
Die kompromisslosen Urteile, die natürlich die russischen Bildungsbürger empören, eignen sich hervorragend als Vorwand nicht nur zur Anprangerung der grausamen und hirnlosen Staatsführung, sondern auch für die Mobilisierung eben jener Bürger für neue massenhafte Protestaktionen, ob sie nun genehmigt sind oder nicht. Das klingt zynisch? Ja. Aber die Opposition des modernen Russland zeichnet sich durchaus nicht durch Ehrenhaftigkeit
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