Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
jedoch absolut.
Der Sturm von Grosny setzte kurz vor Neujahr 2000 ein und endete am 6. Februar 2001. Von der tschetschenischen Hauptstadt war nur ein Haufen rauchender Trümmer übrig geblieben. Aber wer trauerte schon um die zerstörte Stadt, wenn dank des Krieges Wladimir Putins Umfragewerte 52 Prozent erreichten? Und das bei einem Ausgangswert von 6 Prozent im August 1999! Das alles hatte der Zweite Tschetschenien-Krieg bewerkstelligt. Und der wollte nicht aufhören – es ging immer weiter. Aslan Maschadow, Schamil Bassajew und Ruslan Geljajew hatten Grosny im Februar 2000 verlassen und dachten nicht daran aufzugeben. Immerhin verfügten sie über die erfolgreiche Erfahrung des Ersten Tschetschenien-Krieges. Erfahrung ist ein schrecklicher Lehrmeister des Menschen.
Nach den Präsidentschaftswahlen 2000, die Putin als Präsidenten des Landes legitimierten, stellte sich endgültig die Frage nach den bürgerlichen Gewalten in Tschetschenien. Im März wurde die Republik – vorübergehend für die Zeit einer ausgedehnten Anti-Terror-Operation – einer direkten föderalen Verwaltung unterstellt. Wladimir Putin musste ein Oberhaupt für die Republik wählen. Und das tat er recht schnell: Achmat-Hāddsch Kadyrow.
Der 48-jährige Mufti, der kurz zuvor noch als Ideologe des antirussischen Dschihad aufgetreten war, schlug ein System strenger Verabredungen nach dem »Mafia-Kodex« vor: Ihr im Kreml gebt mir das Mandat für eine ungeteilte Macht in Tschetschenien, die Lizenz, alle meine Feinde zu töten, sowie ein reichhaltiges Finanzierungsbudget. Ich werde stets den Anschein erwecken, dass die Republik ein unverzichtbarer Teil von Russland ist. Ihr lasst mich den Krieg de facto gewinnen, und ich gebe euch das Recht zu behaupten, dass ihr den Krieg gewonnen habt.
Der Mufti hatte Glück: Er musste sich nicht mit dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten der Russischen Föderation abgeben, sondern hatte es bereits mit dem zweiten zu tun. Auch wenn Boris Jelzin während seines Lebens im Amt einige Transformationen hatte erdulden müssen, war er doch bis zum Schluss Ideologe geblieben. Wladimir Putin, der als Staatslenker den logischen Übergang von der sowjetischen Ideokratie zu einer postsowjetischen Monetokratie vollenden sollte, fühlte und wusste hingegen, dass Geld und »Mafia-Kodex« stärker sind als jede Ideologie. Darin waren sich der Kreml-Herr und der tschetschenische Mufti einig.
Allerdings sparte Selimchan Jandarbijew in jenen Tagen nicht mit Offenbarungen über die tiefgreifende Zusammenarbeit zwischen Kadyrow Senior mit dem KGB der UdSSR, die angeblich bereits in den 1980er-Jahren begonnen hatte. Äußerst seltsam war beispielsweise das Studium des künftigen Muftis in der Koranschule von Buchara (Usbekistan), die er ab 1981 besuchte und bereits nach zwei Jahren abschloss, obwohl die volle Ausbildung ganze sieben Jahre in Anspruch nahm. Da passte einiges nicht zusammen. Kadyrow behauptete, dass er die Mauern der Koranschule dreieinhalb Mal so schnell hinter sich lassen konnte, weil er sich seit seiner kasachischen Kindheit inbrünstig dem Koranstudium gewidmet hatte, doch das glaubten nur wenige.
Nach Jandarbijews Theorie hatten die Kriegsfürsten Schamil Bassajew und Ruslan Geljajew bei der Rückeroberung von Grosny während des Ersten Tschetschenien-Krieges das KGB-Archiv der Republik gefunden, in dem sich auch sehr viele den Mufti belastende Dokumente befanden. Allerdings ist nicht klar, warum die Separatisten so lange schwiegen – vielleicht hatten sie in ihrem Kampf um die Macht gegen Aslan Maschadow auf Achmat-Hāddsch gezählt? Wie auch immer, die Folgen seiner Offenheit bekam der ehemalige Vize-Präsident von Tschetschenien 2004 in vollem Maße zu spüren, als ihn russische Agenten in Doha, der Hauptstadt von Katar, in die Luft sprengten.
Zunächst meinte man, ein ethnischer Russe und direkter Abgesandter Moskaus könne als Ministerpräsident von Tschetschenien die Macht von Achmat-Hāddsch Kadyrow halten, begrenzen und kontrollieren. Als Ersten in dieses Amt wählte man 2003 den stellvertretenden Gouverneur des Verwaltungsgebiets von Wolgograd Anatoli Popow. Doch das Oberhaupt der Tschetschenischen Republik zeigte ihm bald, was man im Nordkaukasus von Kontrolle und Rechenschaft hält.
Zwischen Kadyrow Senior und Popow kam es zu einem Zerwürfnis anlässlich der Finanzierung für den Bau einer großen Moschee aus dem föderalen Budget. Der Erste meinte, die Moschee müsse unbedingt gebaut
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