Wo bist du
mir gut zu, ich werde dir eine kleine Lektion erteilen, und wenn du dein Spatzengehirn genug anstrengst, wirst du sie vielleicht sogar fehlerfrei deinen Freundinnen wiederholen können. Gezähmt werden Tiere, Kinder werden erzogen! Aber es stimmt, wenn ich deine Brut auf der Straße treffe, fällt mir auf, dass du den Unterschied nicht begriffen hast. Versuch es trotzdem, dann wirst du dich viel weniger langweilen, du wirst sehen. Und jetzt verschwinde, sonst werfe ich dich raus.«
»Bist du jetzt völlig verrückt geworden?«
»Ja«, brüllte Mary, »darum bin ich auch schon so lange verheiratet. Ich erziehe meine beiden Kinder und bin noch dazu glücklich! Raus jetzt! Verschwinde!«
Sie schlug die Tür heftig hinter Joanne zu, dass das ganze Haus bebte. Um wieder Atem zu schöpfen und die aufkommende Migräne zu verscheuchen, lehnte sie den Kopf an die Wand. Sie hatte sich kaum von ihrer Aufregung erholt, als hinter ihr die Treppenstufen knarrten. Sie drehte sich um.
In einem sauberen Jogginganzug trat Lisa in die Küche und kam kurz darauf mit einem Teller in der Hand wieder heraus. Sie hatte sich ein Sandwich aus vier mit Mayonnaise bestrichenen Toastbrotscheiben mit Schinken und Hühnchen gemacht. Es war so hoch, dass sie es mit einem Stäbchen des chinesischen Restaurants zusammenhielt, in dem Mary Essen bestellte, wenn sie keine Lust zum Kochen hatte. Auf der Treppe, genau an der Stelle, wo sie von Mary zurechtgewiesen worden war, blieb sie stehen, drehte sich mit einem stolzen Lächeln um und verkündete:
Jetzt habe ich Hunger.
Dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück.
Den Juli verbrachten alle vier in den Rocky Mountains. Dort fand Lisa etwas von der Freiheit wieder, die ihr so sehr fehlte, und kam Thomas dabei näher. Ob sie die Felsen hinaufkletterte, in die Bäume stieg, Tiere beobachtete oder die verschiedensten Insekten einfing, ohne sich stechen zu lassen - immer ging sie bis ans Ende ihrer Kräfte und erregte die Bewunderung von Thomas, der sie mit jedem Tag mehr als seine große Schwester ansah. Ohne es sich einzugestehen, litt Mary unter der Verbundenheit der beiden Kinder, ging sie doch auf Kosten der Zeit, die sie sonst mit ihrem Sohn verbracht hätte. Schon früh morgens nahm Lisa ihn mit, und ein Tag voller Abenteuer begann. Bei ihrem Spiel war sie die Verantwortliche eines Lagers des Peace Corps, und Thomas mimte die Orkanopfer. Seit der Gewitternacht, in der er sie beruhigt und ihre Angst entdeckt hatte, ohne es zu verraten, war er zum Lagergehilfen aufgestiegen. Am nächsten Morgen vermischte sie die noch feuchte Erde mit Kiefernnadeln und sog den Duft tief ein. Während des Frühstücks präsentierte sie Philip ihre Mischung und erklärte zu Marys großer Verzweiflung voller Stolz, etwa so - aber natürlich noch besser - rieche es bei ihr zu Hause.
Der Monat verging schnell, und als sie wieder in die New Yorker Vorstadt zurückgekehrt waren, fühlten sich die Kinder irgendwie eingeengt. Der Schulanfang ging mit den monotonen, kürzer werdenden Tagen einher, und selbst die Rottöne des Herbstes vermochten nichts mehr gegen den grauen Himmel auszurichten, der erst im nächsten Frühjahr seine Leuchtkraft wiederfinden würde.
Zu Weihnachten bekam Lisa einen großen Malkasten geschenkt, der Stifte, Rötel, Pinsel und mehrere Tuben Guaschfarbe enthielt. Auf einer an die Wand ihres Zimmers gehefteten Papiertischdecke begann sie sofort ein riesiges Fresko zu malen.
Das Bild, das von Talent zeugte, zeigte ihr Dorf, den Dorfplatz mit der Kirche und die kleine Straße, die zur Schule führte, das heißt zu dem Lebensmitteldepot, dessen Türen geöffnet waren und vor dem der Jeep parkte. Im Vordergrund sah man Manuel, Senora Cazales und ihr eigenes, am Rande der Felsen gelegenes Haus mit ihrem Esel davor. »Das ist mein Bergdorf. Mum ist drin«, erklärte sie.
Mary zwang sich, das »Werk« zu betrachten, und antwortete unter Philips erzürntem Blick spontan: »Sehr gut, mit etwas Glück tauche ich in zwanzig Jahren auch auf dem Bild auf. Natürlich habe ich dann Falten, aber dein Stil wird sich wesentlich verbessert haben. Wenn du willst, schaffst du es, da bin ich mir ganz sicher ... Wir haben schließlich Zeit.«
Am sechzehnten Januar 1991 um neunzehn Uhr vierzehn schlug Amerikas Herz im Rhythmus der Raketen, die auf Bagdad niedergingen. Am Ende eines Ultimatums, das um Mitternacht abgelaufen war, hatten die USA gemeinsam mit ihren wichtigsten westlichen Partnern dem Irak den Krieg erklärt,
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