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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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trinkst, wie du dich in Einsamkeit hüllst, wie du unter der viel zu lange laufenden Dusche den Geruch meiner Haut abspülst, wie du beim ersten Klingeln zum Telefon eilst, als würde es dir ein Fenster öffnen, durch das du noch etwas mehr entfliehen kannst. Und ich bleibe zurück, die Arme schwer beladen mit jenem Glück, in dem ich uns baden wollte.«
    »Ich bin nur ein wenig verloren, weißt du?«, warf er leise ein.
    »Du hast nichts gelernt, Philip, ich beobachte, wie du dich selbst altern siehst, wenn dein Finger die Falten nachzeichnet, die sich auf deinem Gesicht bilden. Ich habe dich vom ersten Tag an auch als alten Mann geliebt, darum wusste ich, dass ich mein Leben mit dir verbringen wollte, denn die Vorstellung, an deiner Seite alt zu werden, machte mich glücklich; zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keine Angst mehr vor der Ewigkeit, vor den Angriffen der Zeit. Wenn du in mir warst, spürte ich deine Stärke und deine Schwäche, und ich liebte beides. Aber ich kann unser Leben nicht allein entwerfen, niemand kann das. Man kann sein Leben nicht erfinden, mein Liebling, man muss den Mut haben, es zu leben. Ich werde für ein paar Tage wegfahren. Denn wenn ich mich allzu sehr meinen Gefühlen für dich hingebe, werde ich mich irgendwann verlieren.«
    Philip nahm Marys Hand in die seine und küsste sie.
    «Mit ihr ist meine Kindheit gestorben, und es gelingt mir nicht, um sie zu trauern.«
    Susan ist nur ein Vorwand, genauso wie deine Kindheit. Du kannst diesen Teil deines Lebens ewig verlängern, das kann jeder. Man erträumt sich ein Ideal, man ersehnt es, lauert darauf, und dann, an dem Tag, da es Gestalt annimmt, hat man Angst, es zu leben, fürchtet, den eigenen Träumen nicht gewachsen zu sein oder sie mit einer Wirklichkeit in Einklang zu bringen, für die man verantwortlich wird. Es ist leicht, sich zu weigern, erwachsen zu werden, so leicht, die eigenen Fehler zu vergessen und sein Schicksal verantwortlich zu machen, anstatt zu handeln. Wenn du wüsstest, wie erschöpft ich plötzlich bin. Ich habe diesen Mut gehabt, Philip, den Mut, dich in deinem Leben zu lieben, das, wie du am Anfang sagtest, so kompliziert war. Warum kompliziert? Wegen deiner Qualen, deiner Unzulänglichkeiten? Weil du glaubtest, dies sei dein Monopol?«
    «Du bist meiner überdrüssig?« »Ich habe meine Zeit damit verbracht, dir zuzuhören, während du nur auf dich selbst gehört hast, doch die Vorstellung, dich glücklich zu machen, war mein größtes Glück. Die Banalitäten des Alltags waren mir gleichgültig. Weder deine Zahnbürste in meinem Glas noch dein nächtliches Schnarchen oder dein verknittertes Gesicht am Morgen konnten mich schrecken, mein Traum ließ mich jenseits solcher Kleinigkeiten leben. Auch ich musste lernen, gegen die Momente der Einsamkeit, die Augenblicke des Schwindels anzukämpfen. Ist dir das überhaupt bewusst? Ich habe alle möglichen Gründe geltend gemacht, um dir zuzugestehen, dass sich deine Welt gegen den Uhrzeigersinn dreht, aber ob es dir gefällt oder nicht, sie dreht sich nur in eine Richtung, und ob es dir gefällt oder nicht, du lebst auf ihr und drehst dich mit ihr.«
    »Aber was ist passiert, dass du mir all diese Dinge sagst?«
    »Eben nichts. Ich brauchte nur zu sehen, wie sich dein Körper jede Nacht etwas mehr von mir entfernt, brauchte nur deinen Rücken zu sehen, wenn ich die Augen öffne, statt wie vorher dein schlafendes Gesicht, brauchte nur deine Hände zu spüren, die halbherzig über meine Haut gleiten; mein Gott, wie ich dein »danke« gehasst habe, wenn ich deinen Hals küsste. Warum hast du heute nicht länger gearbeitet? Ich hätte mich so gern noch zurückgehalten und dir nichts gesagt.«
    »Aber du bist dabei, mir zu erklären, dass du mich nicht mehr liebst.« Mary stand auf und blickte sich um, als sie das Zimmer verließ. Er sah, wie ihre Silhouette im Dämmerlicht des Flurs verschwand, wartete einige Minuten und ging dann zu ihr. Sie saß auf der obersten Treppenstufe, den Blick starr nach unten auf die Haustür gerichtet. Er kniete sich hinter sie und nahm sie ungeschickt in die Arme.
    »Ich war eigentlich dabei, dir das Gegenteil zu sagen«, erklärte sie. Dann ging sie hinunter ins Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich.
    Es folgte der schwierige Tag auf die Nacht, in der die Worte ausgesprochen worden waren, die man geahnt hatte, aber nicht hören wollte. In ihren Ledermantel gehüllt, kämpfte Mary auf der Türschwelle gegen die lähmende

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