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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Steckdose fließt), aber ich hätte gern gesehen, wo er gelebt hat. Am Abend nahm ich ein herzhaftes Mahl zu mir – viel mehr kann der Besucher in der Schweiz nicht erwarten – und machte anschließend einen langen Spaziergang durch dunkle Gassen und über leere Plätze. Als ich dann über die Marktgasse in die Innenstadt zurückkehrte, schlossen gerade sämtliche Lokale. Kellner holten Tische und Stühle herein, und nach und nach gingen alle Lichter aus. Es war zwanzig nach neun. Nun können Sie sich in etwa vorstellen, welch ein berauschendes Nachtleben die Stadt Bern zu bieten hat.
    Niedergeschlagen irrte ich durch die Straßen und stand zu meiner großen Erleichterung zehn Minuten später vor einer Kneipe, die noch geöffnet hatte. Sie war überfüllt und verraucht, aber gemütlich. Ich hatte es mir gerade mit einem großen Glas goldgelbem Edelweiß und den letzten Kapiteln von Der Schwarze Tod bequem gemacht, als ich hinter mir eine vertraute Stimme sagen hörte: »Kannste dich erinnern, wie Blane Brockhouse sich im West Gollagong Working Men’s Club vor Schiß in die Hose gemacht hat, als …?«
    Ich drehte mich um und erblickte meine beiden Freunde aus dem Zug nach Genf. »Hallo, Jungs, wie geht’s euch?« entwich es mir, bevor ich es verhindern konnte. Sie sahen mich an, als hätten sie es mit einem potentiellen Verrückten zu tun. »Kennen wir uns?« fragte einer von ihnen.
    Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte. Die beiden hatten mich nie zuvor gesehen. »Ihr seid Australier, äh?« Dumme Frage.
    »Ja. Und?«
    »Ich bin Amerikaner.« Ich schwieg einen Moment.
    »Aber ich lebe in England.«
    Es folgte eine lange Pause. »Wie schön für Sie«, bemerkte einer der Australier sarkastisch, wandte sich dann wieder seinem Freund zu und sagte: »Weißte noch, wie Dung-Breath O’Leary dieser Kellnerin mit seiner Machete die Unterarme abgehackt hat, bloß weil da ’ne Fliege auf seinem Bier schwamm?«
    Ich kam mir vor wie der letzte Idiot, und das trifft den Nagel wohl auch ziemlich auf den Kopf. In Anbetracht ihrer zwergenhaften Größe und ihrer kleinen, verbogenen Gehirne war das Gefühl der Demütigung nur um so stärker. Mit hochroten Ohren widmete ich mich wieder meinem Bier und meinem Buch und nahm Anteil an dem Elend der armen Bürger von Bristol, in deren Stadt 1349 die Pest wütete, daß »die Lebenden kaum mehr die Toten begraben konnten« und daß auf den Straßen hüfthoch das Gras wuchs.
    Schließlich, nach zwei weiteren Gläsern Bier und 120000 qualvollen Toden im Westen Englands, hatte sich meine Verlegenheit gelegt, und ich fühlte mich besser. Die Zeit heilt eben alle Wunden, wie es so schön heißt. 
    Trotzdem – sollten Sie eines Morgens ungewöhnliche Beulen an sich entdecken, gehen Sie lieber gleich zum Arzt!

    Liechtenstein

    Kaum hat man den deutschsprachigen Teil der Schweiz erreicht, klingen die Namen der Städte, als würde jemand mit vollem Mund sprechen: Thun, Leuk, Bülach, Plaffeien, Flims, Gstaad, Pfäffikon, Linthal, Thusis, Fluelen, Thalwil.
    Auf meiner Fahrkarte war Thalwil als Zielort angegeben, was mich ein wenig irritierte, denn auf meiner geschätzten Kümmerly und Frey »Alpenländer Straßenkarte« war nirgends ein Ort dieses Namens zu finden. Dort wo Thalwil hätte sein sollen, befand sich ein Ort namens Horgen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die gewissenhaften Zeichner von Kümmerly und Frey in ihrem eigenen Land einen so gravierenden Fehler gemacht haben sollten. Ebenso unvorstellbar war es jedoch, daß die konservativen Bürger in dieser Ecke der Schweiz im Laufe der vergangenen achtzehn Jahre eine ihrer Städte umbenannt haben könnten. Ich beschloß, mich überraschen zu lassen, und widmete meine Aufmerksamkeit der Landkarte. Ich breitete sie in ihrer ganzen zerknitterten Pracht auf meinen Knien aus, zum unverhohlenen Ärger der alten Dame neben mir, die sich kerzengerade aufrichtete und Laute der Empörung von sich gab, sobald ein Zipfel Papier in ihre Richtung wippte. Landkarten üben eine seltsame Faszination auf mich aus. Ich könnte sie stundenlang betrachten, um die Namen von Städten und Dörfern zu studieren, von denen ich nie gehört habe und die ich niemals sehen werde, um dem Lauf unbekannter Flüsse zu folgen, um unter den Zeichenerklärungen nachzulesen, was eine Fahne in einem kleinen Kreis bedeutet (eine Burg oder ein Schloß), oder worin der Unterschied zwischen einem Flugzeug mit und ohne Kreis besteht (das eine ist ein

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