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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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aller Eile aus dem Boden gestampft worden – nicht unbedingt häßlich, aber doch sehr mittelmäßig.
    Es war Samstag, und auf der Hauptstraße stauten sich Nobelkarossen aus der Schweiz und aus Deutschland. Scheinbar kommen an Wochenenden die Reichen, um nach ihrem Geld zu sehen. Im Ortskern gab es nur vier Hotels. Davon waren zwei voll, und eins war geschlossen, doch ich hatte Glück und bekam ein Zimmer im vierten, im Hotel Engel. Es war freundlich, aber unverschämt teuer im Verhältnis zu seinem bescheidenen Komfort – ein klumpiges Bett, eine Leselampe mit einer Zwanzigwattbirne, kein Fernseher, sondern ein so altes Radio, daß es mich nicht gewundert hätte, daraus Edward R. Murrow über die Schlacht von Monte Cassino berichten zu hören. Statt dessen brachte der einzige Sender, den ich damit empfangen konnte, eine Polka nach der anderen. Zwischendurch meldete sich ein Deutsch sprechender Diskjockey zu Wort, der offenbar ein paar Schlaftabletten zuviel geschluckt hatte (vielleicht hatte er auch zuviel Polka gehört), denn … er … sprach …
    wirklich … sehr, … sehr … langsam. Das Zimmer hatte nur einen Vorteil, und das war sein Balkon mit Blick auf die größte Kirche und den zentralen Platz der Stadt mit den Bergen im Hintergrund. Wenn ich mich mutig über die Brüstung und über die Straße in der Tiefe lehnte und mir fast den Hals verrenkte, konnte ich das Schloß hoch über mir sehen. Noch heute residiert darin der Kronprinz, einer der reichsten Männer Europas und Besitzer der zweitschönsten privaten Gemäldesammlung der Welt (nur die Sammlung der englischen Königin ist schöner). Er nennt den einzigen Leonardo sein eigen, der sich überhaupt in Privatbesitz befindet sowie die größte Sammlung von Werken Rubens’, doch das nützt dem kunstinteressierten Besucher wenig, denn das gesamte Schloß ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es existieren Pläne, eine kleine Nationalgalerie einzurichten, um darin einige der Gemälde zu zeigen. Seit fast zwanzig Jahren wird die Angelegenheit im Parlament debattiert, doch bisher hat man es nicht übers Herz gebracht, sich von dem dafür nötigen Kleingeld zu trennen, und offenbar würde es niemand wagen, sich an die Fürstenfamilie zu wenden und sie zu bitten, ein paar Scheine aus ihrer Schatztruhe (schätzungsweise 2,1 Milliarden Mark) locker zu machen, damit die Sache ins Rollen kommt. Ich zog los, um mir die Stadt anzusehen und um herauszufinden, wie die Chancen für ein Abendessen standen. Die Läden im winzigen Geschäftsviertel waren so uninteressant und kleinstädtisch – ein Zeitungshändler, eine Drogerie, ein Laden für Geschenkartikel, mit jener Sorte von Geschenken, die man alljährlich von seinen Schwiegereltern zu Weihnachten bekommt –, daß ein Schaufensterbummel nicht in Frage kam. Restaurants waren dünn gesät und entweder sehr teuer oder entmutigend leer. Vaduz ist ausgesprochen klein. In welche Richtung man auch läuft, nach einer Viertelstunde steht man mitten auf dem platten Land. Und es kam mir in den Sinn, daß es eigentlich keinen Grund für eine Reise nach Liechtenstein gibt, es sei denn, man möchte unbedingt von sich behaupten, einmal da gewesen zu sein. Wäre das Land ein Teil der Schweiz (was es ja eigentlich in jeder Hinsicht ist, wenn man von seinem Namen und den Briefmarken einmal absieht), würde niemand auf die Idee kommen, dorthin zu fahren. Ich schlenderte durch ein Wohnviertel, in dem hinter jedem Wohnzimmerfenster ein Fernseher flimmerte, und fand mich unversehens auf einer weder asphaltierten noch beleuchteten Straße, die durch brachliegende Felder führte, wieder. Der Blick zurück auf Vaduz war unerwartet schön. So plötzlich, wie es in den Bergen üblich ist, war die Dunkelheit hereingebrochen, und am Himmel hing die bleiche Sichel des Mondes. In gelbem Scheinwerferlicht gebadet, erhob sich das Schloß über der Stadt und wirkte gebieterisch und uneinnehmbar. Als die Straße an einer Gabelung endete, trat ich den Rückweg an und saß wenig später im Restaurant des Hotels Vaduzerhof. Zwei Stunden zuvor hatte man mir dort versichert, das Hotel sei geschlossen. Zu meiner Überraschung stellte ich nun fest, daß zumindest das Hotelrestaurant nicht nur geöffnet war, sondern von Gästen geradezu bestürmt wurde. Auch schien es mir, als würden einige der Gäste Schlüssel von den Haken im Korridor nehmen und die Treppe hinauf zu ihren Zimmern gehen. Vielleicht hat der Dame an der Rezeption nur

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