Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
Wiener Knabenchor werden sollten. Da ich selbst hoffnungslos rührselig war, gefiel mir der Film sehr, doch was sich mir so unauslöschlich eingeprägt hat, war die europäische Kulisse – die kopfsteingepflasterten Straßen, die Spielzeugautos, die Tante Emma Läden mit einem bimmelnden Glöckchen über der Tür, die bescheidene Gemütlichkeit, in der jeder der Jungen zu Hause war. All das wirkte so verlockend und angenehm altmodisch verglichen mit der modernen Welt, die ich kannte, und hinterließ in mir den unerschütterlichen Eindruck, Österreich sei irgendwie europäischer als der Rest Europas. Und diesen Eindruck fand ich nun in Innsbruck bestätigt. Zum ersten Mal seit langer Zeit, auf jeden Fall zum ersten Mal während dieser Reise, empfand ich wieder dieses Staunen, mich in dieser Umgebung, in diesen Straßen zu befinden. Jetzt war ich in Europa. Eine überwältigende Erkenntnis..

    Ich folgte der Maria-Theresien-Straße zu meinem Hotel. Auf der prächtigen Hauptstraße der Stadt ließ es sich trotz des Durchgangsverkehrs angenehm bummeln, jedenfalls solange ich über die Unmengen von Schaufenstern hinwegsah, die nichts als Dirndln, Lederhosen, Bierkrüge mit Zinndeckeln, Tirolerhüte, langstielige Pfeifen und handgeschnitzten Krimskrams zu bieten hatten. Ich glaube kaum, daß es irgendwo auf der Welt auf so engem Raum soviel idiotische Souvenirs zu kaufen gibt wie in Tirol. Bei ihrem Anblick wird der Besucher schmerzlich daran erinnert, daß er sich in einem Land befindet, in dem die Leute diese Dinge mögen.
    Das ist die Schattenseite Österreichs. Dieselbe Kraft, die die Menschen dazu bringt, ihre alten Städte zu erhalten, treibt sie dazu, auch in ihren Herzen die Vergangenheit zu bewahren. Kein Volk klammert sich so sehr an den Ruhm vergangener Tage wie die Österreicher, und da eine der düstersten Episoden der Geschichte zu diesen Ruhmestagen zählt, ist das nicht gerade ihr sympathischster Wesenszug.
    Sie sind berüchtigte Rassisten. Als Katz und ich durch Österreich getrampt sind, haben wir uns mit zwei etwa gleichaltrigen Deutschen angefreundet. Sie hießen Thomas und Gerhard und waren per Anhalter unterwegs von Berlin nach Indien, auf der Suche nach geistiger Erleuchtung und guten Drogen. Wir haben gemeinsam irgendwo an der Paßstraße zwischen Salzburg und Klagenfurt gecampt und sind am Abend ins nächste Dorf gewandert, wo ein perfektes Gasthaus auf uns wartete. Es war mit dunklem Holz vertäfelt, hatte einen Kamin, vor dem ein Hund döste, und war gefüllt mit rotgesichtigen, Maßkrüge schwingenden Bauern. Wir aßen Würste mit Senf, tranken literweise Bier und waren bester Stimmung. Ich kann mich erinnern, wie ich an diesem Abend bierselig dachte, welch ein herrliches Fleckchen Erde dies sei und was für gute, gastfreundliche Menschen doch die Österreicher sind, denn sie lächelten unentwegt zu uns herüber und hoben gelegentlich ihre Bierkrüge, um uns zuzuprosten. Und während ich das dachte, beugten sich die Deutschen über den Tisch und flüsterten uns zu, daß
    wir uns in Gefahr befänden. Scheinbar machten sich die Österreicher nur über uns lustig. Sie wußten nicht, daß zwei von uns jedes ihrer Worte verstanden, und redeten munter drauf los – alle wie sie da waren: die Männer, die Frauen, der Wirt, die Wirtin, das ganze verdammte Dorf. Alle wollten sie uns an die frische Luft befördern und uns, wie Gerhard übersetzte, »einen anständigen Haarschnitt verpassen und auf ihre Heugabeln spießen«. Wieder erfüllte Gelächter den Raum. Gerhard lächelte schwach.
    » Zey say zat perhaps zey should also make us to eat of zer horse dung. «
    »Oh, klasse«, sagte Katz. »Als hätte ich auf dieser Reise noch nicht genug Scheiße gefressen.«
    In meinem Kopf drehte sich alles. Die freundlich lächelnden Gesichter waren zu dämonischen Grimassen geworden. Mir gegenüber hob ein Mann sein Glas und zwinkerte mir zu, als wollte er sagen:
    »Ich hoffe, du magst Pferdescheiße, mein Junge.«
    Ich wandte mich an Gerhard. »Sollen wir die Polizei rufen?«
    »Ich glaube, der Mann da drüben ist die Polizei.«
    »Oh, klasse«, sagte Katz wieder.
    »Ich glaube, wir sollten unauffällig zur Tür gehen und dann so schnell wie möglich abhauen«, schlug Gerhard vor.
    Wir standen auf, ließen unsere halbvollen Gläser stehen, bewegten uns so lässig, wie wir eben konnten, in Richtung Ausgang, nickten im Vorbeigehen unseren potentiellen Angreifern zu und rannten los. Wir hörten, wie hinter uns

Weitere Kostenlose Bücher