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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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einem Automaten neben der Tür eine Nummer ziehen und warten, bis diese Nummer über einem der Schalter aufleuchtete. Ich hatte die Nummer 415, und die höchste der angezeigten Nummern war die 391. Da sie zwanzig Minuten später erst bei Nummer 393 waren, schlenderte ich zum Bahnhofskiosk, um mir zwischendurch in den Zeitschriften ein paar nackte Mädchen anzusehen. Leider war der Kiosk geschlossen, und ich mußte mit den ausgehängten Reiseplakaten vorliebnehmen. Als ich nach einer Weile wieder in der Fahrkartenausgabe stand, stellte ich nicht unbedingt zu meiner Überraschung fest, daß sich dort während meiner Abwesenheit einiges getan hatte und daß die 415 längst aufgerufen worden war. Also zog ich eine neue Nummer – diesmal die 432 –, nahm Platz und wartete eine halbe Stunde. Als meine Nummer endlich an der Reihe war, trat ich an den Schalter und bat den Mann, mir eine Fahrkarte für den Zug nach Stockholm um 10.05
    Uhr am nächsten Morgen auszustellen. Er sah mich traurig an und sagte: » I’m sorry. I do not speak English. «
    Ich war erstaunt. »Aber jeder in Schweden spricht Englisch«, protestierte ich schwach.
    » I don’t « , erklärte er und wurde noch trauriger. » Please you must go to Window sree. She speaks vair good English. «
    Ich ging zum Schalter drei und bat um eine Fahrkarte für den Zug am nächsten Morgen nach Stockholm. Die Frau erblickte die zerknitterte Nummer 432 in meiner Hand und zeigte auf die über ihrem Schalter angezeigte Nummer.
    »Sie sind am falschen Schalter. An diesem Schalter ist die Nummer 436 an der Reihe.« Und während sie das sagte, erhob sich eine grauhaarige Dame aus ihrem Stuhl und stürmte auf mich zu. Ich versuchte, mein Problem mit dem »Einsprachigen« von Schalter fünf zu erklären, doch die Frau an Schalter drei schüttelte nur den Kopf und teilte mir mit: »Sie müssen eine neue Nummer ziehen. Dann rufe ich Sie vielleicht auf. Jetzt muß ich mich um diese Dame kümmern.«
    » You are at zer wrong window! « brüllte die alte Dame mit den grauen Haaren in einer Lautstärke, die verriet, daß ihr Gehör sie allmählich im Stich ließ. » This is my   Window «, fügte sie hinzu und warf allen Anwesenden einen hochmütigen Blick zu, der wohl soviel heißen sollte wie »Mein Gott, sind diese Ausländer blöd!«
    Resigniert trottete ich zum Automaten hinüber und zog eine weitere Nummer. Das heißt, vorsorglich zog ich drei Nummern, ließ mich auf einen Stuhl fallen und wartete. Was für ein netter Abend! Irgendwann erschien auch meine Nummer wieder, und zwar an Schalter fünf – am Schalter des einzigen Mannes in Schweden, der kein Englisch spricht. Ich zerknüllte das Nummernticket und wartete, bis die nächste Nummer aufgerufen wurde. Aber auch sie wurde von dem Mann an Schalter fünf aufgerufen. Ich wetzte zu ihm hinüber und flehte ihn an, nicht auch noch meine letzte Nummer aufzurufen, aber genau das tat er.
    Der Gedanke, daß nun alles von vorn beginnen sollte, war unerträglich. »Bitte«, sagte ich langsam und deutlich, »ich möchte nur eine einfache Fahrkarte nach Stockholm für den Zug morgen um 10.05 Uhr.«
    »Aber natürlich«, sagte der Mann, als hätte er mich nie zuvor gesehen, nahm mein Geld entgegen und reichte mir die Fahrkarte. Kein Wunder, daß so viele Schweden Selbstmord begehen.

    Stockholm

    Am nächsten Morgen regnete es noch immer, und ich gab jede Hoffnung auf, vor meiner Abfahrt noch etwas von Göteborg zu sehen. Ich ging zum Bahnhof und investierte ein kleines Vermögen in zwei Tassen Kaffee und ein belegtes Brötchen. Pünktlich um 10.05 Uhr fuhr der Zug ab, und nach knapp viereinhalbstündiger Fahrt durch die endlosen Kiefernwälder Schwedens bahnte ich mir bereits den Weg durch die Menschenmassen im düsteren Hauptbahnhof von Stockholm.
    Bei der Zimmervermittlung der Touristen-Information im Bahnhof mußte ich ein ungefähr 700 Fragen umfassendes Formular ausfüllen, doch die Mühe sollte sich lohnen, denn das Hotel, das Castle on Riddargatan, erwies sich als ein kleiner Glückstreffer. Es lag nur etwa anderthalb Kilometer vom Bahnhof entfernt und war freundlich, sauber und bezahlbar – soweit sich das überhaupt von irgendetwas in Schweden sagen läßt. Ich machte mich gleich auf den Weg zur Gamla Stan, der Altstadt von Stockholm, an der anderen Seite der Strömbron. Sie besitzt einen ausgesprochen mitteleuropäischen Charme: schmale, hügelige Straßen, an beiden Seiten gesäumt von strengen, massigen Gebäuden,

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