Wo bitte geht's nach Domodossola
Premierminister hatte sich mit seiner Frau einen Film über Mozart angesehen. Als sie gerade aus dem Kino kamen, um sich zu Fuß auf den Heimweg zu ihrer nahegelegenen Wohnung zu machen, trat ein Verrückter aus dem Schatten und schoß. Für mich zählt dieses Attentat zu den tragischen Ereignissen unserer Zeit. Die schwedische Polizei hat sich bei der Aufklärung des Falles nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Palme wurde um 23.21 Uhr getötet, der Befehl, die Straßen zu beobachten, erfolgte aber erst um 0.50 Uhr, und selbst dann wußten die Polizisten in den Streifenwagen noch nicht, wonach sie suchen sollten. Erst um 1.05 Uhr wurden die Flughäfen geschlossen. Die Polizei sperrte den Bereich um das Kino großräumig ab, Experten der Spurensicherung wurden herbeigeholt und suchten minuziös den Tatort ab; und dennoch waren es Passanten, die beide Kugeln des Attentäters fanden und der Polizei übergaben. Die 300
Mann starke Polizeieinheit, die den Fall untersuchte, brauchte elf Monate und zehn Millionen Mark, um schließlich einen Unschuldigen zu verhaften. Bis heute weiß man nicht, wer es war.
Ich schlenderte ziellos über die Kungsgatan, eine der größten Einkaufsstraßen der Stadt, vorbei am PUB Kaufhaus, in dessen Hutabteilung einst Greta Garbo gearbeitet hat, und dann über die lange Fußgängerstraße Drottninggatan, und es kam mir vor, als befände ich mich in einer anderen Stadt. Die Drottninggatan ist eine fast zweieinhalb Kilometer lange Asphaltpiste ohne jeden Reiz. Überall lagen vom Regen aufgeweichte Abfälle herum, und hier stolperte mir auch ein Betrunkener nach dem anderen über den Weg. Als ich einmal stehenblieb, um mir ein Schaufenster anzusehen, bemerkte ich ein paar Meter rechts von mir einen Mann mittleren Alters. Er pinkelte direkt an das Fenster, so diskret wie das auf einer beleuchteten Straße vor einem beleuchteten Fenster eben möglich ist. Auch er stand eindeutig unter Alkoholeinfluß, trug einen Anzug und machte einen wohlhabenden und gebildeten Eindruck. Ich war schwer enttäuscht – von ihm und von all den Hunderten von Menschen , die ihre Hamburger-Schachteln und ihr Knäckebrotpapier achtlos auf die Straßen geworfen hatten. Das hatte ich von den Schweden nicht erwartet. Das war ihrer unwürdig. Ich bin voller Bewunderung für die Schweden aufgewachsen, denn sie hatten es geschafft, gleichzeitig reich und sozialistisch zu sein, was meiner Ansicht nach jeder sein sollte. Da ich aus einem Land stamme, in dem es passieren kann, daß ein Kind mit einem Gehirntumor nach Hause geschickt wird, um dort zu sterben, weil sein Vater nicht das nötige Kleingeld für einen Chirurgen besitzt, oder daß eine Versicherungsgesellschaft von einer staatlichen Kommission die Erlaubnis erhält, die Policen ihrer 14000 kränkesten Mitglieder zu kündigen, weil sie gerade ein nicht so besonders gutes Jahr hinter sich hat (wie 1989 in Kalifornien geschehen), galt meine ganze Bewunderung der Nation, die sich zum Ziel gesetzt hat, ungeachtet der Kosten jedem ihrer Bürger die gleiche Fürsorge zuteil werden zu lassen. Doch damit nicht genug; außerdem haben es die Schweden zu Erfolg und Reichtum gebracht. In Großbritannien scheint es dagegen seit jeher das vorrangige Ziel der Sozialisten zu sein, daß jedermann so arm und unwissend wird wie ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann bei British Leyland. Jahrelang war Schweden in meinen Augen die perfekte Gesellschaft. Es ist mir schon schwer genug gefallen, mich mit der Tatsache abzufinden, daß all das mit ungeheuer hohen Lebenshaltungskosten bezahlt werden muß und nicht zuletzt mit einer Lebensweise, bei der das Vergnügen praktisch auf der Strecke bleibt. Aber nun feststellen zu müssen, daß sich in den Straßen der Abfall häuft und daß gebildete Menschen an Schaufenster pinkeln, das war fast zuviel.
Da ich noch immer Hunger hatte, griff ich an einem Imbißwagen am Hafen tief in die Tasche und leistete mir einen Hamburger. Es war einer dieser Hamburger, bei denen man sich fragt, ob man sich nach dem Verzehr wohl in ärztliche Behandlung begeben muß. Zu sagen, er hätte beschissen geschmeckt, wäre eine Beleidigung für die Exkremente. Ich aß nicht mal die Hälfte und warf den Rest in den nächsten Abfalleimer. Es hatte wieder angefangen zu regnen. Außerdem machte mir meine Erkältung zu schaffen. In übelster Laune kehrte ich in mein Zimmer zurück.
Als ich wach wurde, war mein Kopf voller Rotz, und in meinen Schuhen stand das Wasser. Aber
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