Wo bitte geht's nach Domodossola
ergehen und scheuchte seine Kellner wie Kulissenschieber mit Stühlen, Tischdecken und Blumenvasen durch das Lokal, in dem verzweifelten Bemühen, in einem bereits überfüllten Raum einen Tisch für acht Personen zu improvisieren. Der einzige, der sich nicht aktiv an diesem Tohuwabohu beteiligte, war der Kopf der Gruppe, ein Mann, der eine beinahe unheimliche Ähnlichkeit mit Adolfo Celli hatte und sich mit seinem über die Schultern gehängten 1000-Dollar-Mantel abseits des Geschehens hielt. Er sagte kein Wort, flüsterte nur hin und wieder etwas in das Ohr eines pockengesichtigen Kumpanen.
Der Oberkellner stürzte herbei und berichtete unter Verbeugungen, daß ein Tisch für sechs Personen soweit hergerichtet sei und daß man hoffe, auch die übrigen zwei Personen in Kürze unterbringen zu können, aber wenn die Damen in der Zwischenzeit die Güte hätten, Platz zu nehmen … Seine Stirn berührte fast den Boden. Doch seine Worte wurden nur als weitere Kränkung empfunden. Adolfo flüsterte wieder mit seinem Kumpanen, woraufhin letzterer verschwand, vermutlich um sein Maschinengewehr zu holen oder um mit einem Bulldozer durch die Hauswand zu brechen.
Und genau in diesem Moment sagte ich: »Scusi« (mein Italienisch wurde von Tag zu Tag besser), »Sie können meinen Tisch haben. Ich wollte sowieso gerade gehen.«
Ich kippte meinen Kaffee hinunter, sammelte mein Wechselgeld ein und stand auf. Der Geschäftsführer sah mich an, als hätte ich ihm das Leben gerettet, was ja vielleicht tatsächlich der Fall war, und der Oberkellner dachte ernsthaft darüber nach, mich auf den Mund zu küssen, überschüttete mich jedoch statt dessen unterwürfig mit Danksagungen. Noch nie habe ich mich einer so allgemeinen Beliebtheit erfreut. Die Kellner strahlten übers ganze Gesicht, und viele der Gäste betrachteten mich, wenn ich das so sagen darf, mit einem Ausdruck tiefster Bewunderung. Selbst Adolfo neigte kaum merklich den Kopf – eine Geste, die eine Spur von Dankbarkeit und Achtung verriet. Während mein Tisch weggetragen wurde, geleiteten mich Geschäftsführer und Oberkellner zur Tür, verbeugten sich unablässig und dankten mir und schwenkten unentwegt einen Staubwedel über meinen Schultern. In seiner Überschwenglichkeit bot mir der Oberkellner sogar seine Tochter an. An der Tür wandte ich mich noch einmal um, verharrte einen Moment, um die mir entgegengebrachte Hochachtung auszukosten, winkte, mit einem Hollywood-Lächeln im Gesicht, zum Abschied in den Raum und trat in den Abend hinaus.
Den Bauch voller Pasta und im Herzen das gute Gefühl, in einer unruhigen Ecke Sorrents Frieden gestiftet zu haben, schlenderte ich in der Dämmerung dieses milden Abends über den Corso Italia und dann zur Via del Capo hinauf, die sich die Küste entlang nach Positano schlängelt. An dieser Straße hat man Hotels in die Felswände gehauen, um die spektakuläre Aussicht über den Golf von Neapel ausnutzen zu können. Die Namen der Hotels erinnerten an längst vergangene Zeiten – das Bel Air, das Bellevue Syrene, das Admiral, das Caravel –, und die Hotels schienen sich innerhalb der letzten vierzig Jahre nicht ein bißchen verändert zu haben. Eine Stunde stand ich auf das Geländer am Straßenrand gestützt und blickte überwältigt auf die Bucht hinaus. Auf der anderen Seite lagen der Vesuv und Neapel und ein wenig weiter links die Inseln Procida und Ischia. Rund um die Bucht funkelten die ersten Lichter, und am Himmel gingen allmählich die Sterne auf. Die Luft war warm und roch nach frischem Brot. Ich war der Vollkommenheit so nahe wie noch nie in meinem Leben.
Auf der Landspitze an der gegenüberliegenden Seite der Bucht lag das Städtchen Pozzuoli, ein Vorort von Neapel und die Heimatstadt von Sophia Loren. Die Bürger von Pozzuoli können von sich behaupten, auf dem geologisch instabilsten Fleckchen Erde dieses Planeten zu leben. 4000 Mal im Jahr bebt der Boden unter ihren Füßen. Manchmal werden bis zu hundert Erdbeben am Tag registriert. Die Einwohner von Pozzuoli sind so daran gewöhnt, daß ihnen der Putz von der Decke in die Suppe fällt und daß ihre Großmütter unter einstürzenden Schornsteinen begraben werden, daß sie kaum mehr Notiz davon nehmen. In Kalabrien gehören Erdbeben zum täglichen Leben. Bei dem Beben von 1980 haben in Neapel 120000 Menschen ihr Dach über dem Kopf verloren, und jederzeit ist mit einem noch stärkeren Beben zu rechnen. Dabei sind die Dörfer an so steile Berghänge gebaut,
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