Wo bitte geht's nach Domodossola
klassische Kunst, enthält keinen Hinweis auf seine Existenz. Erst 1951 wurde die Öffentlichkeit durch eine Studie von Kenneth Clark wieder auf ihn aufmerksam. Dasselbe galt für Caravaggio und Boticelli, deren Werke fast zwei Jahrhunderte ihres Daseins auf irgendwelchen Dachböden gefristet haben. So fand man in einem Lagerraum der Uffizien 1916 zufällig Caravaggios »Bacchus«.
Vier Tage wanderte ich durch Florenz und versuchte, die Stadt zu lieben, aber es gelang mir nur selten. Der berühmte Blick von den Boboli Gärten über die Dächer der Stadt war herrlich, ebenso die langen Spaziergänge an den Ufern des Arno, dennoch empfand ich Florenz vor allen Dingen als enttäuschend. Auch wenn ich die Touristenscharen außer acht ließ, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß vieles hier verwahrloster war, als es in einer so schönen und historischen und von Besuchern wie mir so großzügig subventionierten Stadt sein durfte. Überall häufte sich der Müll. Ständig wurde man von bettelnden Zigeunern belästigt. Und auf jedem Gehsteig machten sich senegalesische Straßenverkäufer mit ihren Sonnenbrillen und Louis-Vuitton-Taschen breit. Und obendrein parkten Autos halb auf den engen Bürgersteigen, so daß man immer wieder auf die Straße ausweichen mußte. Man konnte einfach nicht friedlich durch Florenz schlendern, denn ständig galt es, irgendwelchen Hindernissen auszuweichen. Alles wirkte verstaubt und schmuddelig. Die Trattorias waren überfüllt und teuer und oft unfreundlich, vor allem in der Innenstadt. Niemand schien die Stadt zu lieben. Sogar reiche Leute warfen bedenkenlos ihren Müll auf die Straße. Und jedesmal wenn ich an der Piazza del Duomo vorbeikam, kamen mir die Gebäude staubiger und schäbiger vor.
Woran liegt es nur, daß die Städte, die die Menschen aus aller Welt sehen wollen, oft gerade die sind, deren Bürger am wenigsten dafür tun, daß sie auch schön anzusehen sind? Warum können die Florentiner nicht begreifen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, ihre Straßen vom Schmutz zu befreien, ein paar Bänke aufzustellen, dafür zu sorgen, daß man nicht auf Schritt und Tritt von Zigeunern angebettelt wird, und mehr Zeit und Geld zu investieren, um das Erscheinungsbild ihrer Stadt aufzupolieren?
Florenz besitzt mehr Kulturdenkmäler als jede andere Stadt der Welt: einundzwanzig Paläste, fünfundfünfzig historische Kirchen, acht Galerien, zwanzig Museen – mehr als ganz Spanien, wie ich in einem Bericht der UNESCO gelesen habe, und dennoch sieht der Haushaltsetat der Stadt nicht einmal zwölf Millionen Mark im Jahr für Restaurierungsarbeiten vor. (Allein im Archäologischen Museum warten noch 10000
Kunstschätze darauf, von den Spuren befreit zu werden, die die große Flut von 1966 hinterlassen hat.) Es ist kein Wunder, wenn man in Florenz den Eindruck gewinnt, daß den Bürgern ihre Stadt ziemlich gleichgültig sind. Wo es nicht die Gleichgültigkeit ist, die den historischen Bauten zum Verhängnis wird, da sind es oft Inkompetenz und Korruption. 1986 fiel endlich die längst überfällige Entscheidung, die Kopfsteine der Piazza della Signoria zu restaurieren. Also grub man die antiken Steine aus und schaffte sie in die Werkstätten. Als sie später wieder an Ort und Stelle lagen, sahen sie aus wie neu. Und das waren sie auch. Die Originale hatte man für teures Geld an reiche Leute verkauft, die die Auffahrten ihrer Häuser damit gepflastert haben.
Am meisten regten mich die Zigeuner auf. An fast jeder Straße saßen sie und bettelten die Passanten an. Und auf ihrem Schoß saßen Stunde um Stunde ihre drei oder vier Jahre alten, herzzerreißend schmutzigen Kinder und sollten Mitleid erregen. Das ist unmenschlich und so skandalös, als würde man die Kinder zwingen, in Fabriken zu arbeiten. Und doch gingen die Carabinieri, die zu dritt oder viert in ihren flotten Uniformen durch die Straßen stolzierten, achtlos an ihnen vorbei. Die einzige Zigeunerin, von der ich mich nicht belästigt fühlte, war kurioserweise das kleine Mädchen, das mir an jenem strahlenden Sonntagmorgen die Brieftasche klaute, als ich Florenz gerade verlassen wollte. Das Kind war einsame Spitze. Ich hatte soeben mit Sack und Pack das Hotel verlassen und war auf dem Weg zum Bahnhof, um nach Mailand weiterzureisen. Kaum hatte ich die Straße überquert, näherten sich mir drei Kinder mit einem Stoß zerknitterter Zeitungen vom Vortag, die sie mir verkaufen wollten. Ich winkte ab, doch
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