Wo Dein Herz Zu Hause Ist
der, den du vor all den Jahren kanntest. Ich glaube es würde dir gefallen, was aus mir geworden ist, jedenfalls hoffe ich es. Du fehlst mir, Trouble.»
Er schwieg, um an seinem Kaffee zu nippen, als er eine Frau langsam von einem Grabstein zum nächsten gehen sah. Als er sie von nahem sah, dachte er, sie käme ihm bekannt vor. Ihr Haar, ihre Gesichtszüge, ihr Mund und vor allem ihr Blick in dem Moment, als sie mit dem Knöchel umknickte. Brendan stand auf.
«Sie suchen nach Liv», sagte er.
Harri blieb vor dem Mann mit dem Kaffeebecher stehen. Sie nickte.
«Sie ist hier.»
Harri ging langsam um den Mann herum. Ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen. Sie betrachtete den Namen und das Datum auf dem Grabstein und sah dann den Mann an, der sie mit bleichem Gesicht anstarrte.
«Ich kenne dich. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Harri», sagte er.
«Danke», gab sie flüsternd zurück.
«Ich heiße Brendan McCabe.» Seine Augen schienen sich fast in ihren Körper hineinzubohren.
«Der Arzt», brachte sie über die Lippen.
«Ja.»
«Ich schaffe das nicht», sagte sie, und dann gaben ihre Beine unter ihr nach.
2. September 1975 Donnerstag
Heute habe ich mich von Matthew verabschiedet. Ich habe so viel geweint, dass mir schlecht wurde und ich mich ins Bett legen musste. Er hat auch geweint. Henry hat uns zum Bahnhof gefahren, weil Matthews blöder Dad nach Frankreich geflogen ist. Matthew hatte so viele Koffer, dass man denken konnte, er will für immer wegbleiben. Ich halte es nicht aus. Der Sommer ist vorbei, und er ist weg, und ich halte es nicht aus. Mir tut vom Kopf bis zu den Zehen alles weh, und im Inneren schreie ich die ganze Zeit.
Henry ist kurz bei uns stehen geblieben, und dann hat er sich verabschiedet, ist Matthew mit der Hand durch die Haare gefahren und hat ihm gesagt, dass er ihn vermissen wird und dass er sich um Nero kümmert. Da habe ich schon geweint, weil Henry all das gesagt hat, was Matthews Dad hätte sagen sollen, und dann waren wir allein, und ich habe weiter geweint, und Matthew hat versucht, stark zu sein.
Am Samstag Abend hatten Matthew und sein Dad einen Riesenstreit. Es hat damit angefangen, dass Matthew gefragt hat, ob er über die Wochenenden immer nach Hause kommen könnte. Viele von den anderen Internatsschülern fahren jedes Wochenende heim, aber sein Dad hat nein gesagt. Matthew meinte zu seinem Dad, dass er es ja ohnehin kaum mitbekommen würde, ob er da ist oder nicht. Da ist sein Dad ausgeflippt und hat lauter Gemeinheiten gebrüllt, die außerdem nicht wahr waren.
Matthew könnte alles werden, was er will. Er ist kein Versager, an den jede Mühe verschwendet ist. Er könnte niemals eine Enttäuschung für jemanden werden. Den Schmerz in Matthews Augen, als sein Dad diese Sachen gesagt hat, werde ich nie vergessen, und als er später angefangen hat zu weinen, war es, als würde mir jemand ein Messer ins Herz jagen. Das meine ich wirklich so. Es hat sich angefühlt, als würde mir ein Messer ins Herz gestoßen. So ein Gefühl hatte ich noch nie, und ich hoffe, es wiederholt sich nicht, denn es war ziemlich unerträglich. Als sein Dad gesagt hat, er wäre froh, dass Matthews Mutter tot ist, sodass sie nicht mit ansehen muss, was für ein Versager aus ihrem Sohn geworden ist, wollte Matthew auf ihn losgehen. Er hat die Faust geballt und den ersten Schritt gemacht, aber ich habe ihn am Pullover zurückgezerrt. Ich weiß auch nicht warum. Es ist ganz automatisch passiert. Matthew hat mich deswegen später angeschrien. Er hat gesagt, ich hätte mich nicht einmischen sollen. Er hat recht. Ich hätte ihn lassen sollen. Ich fühle mich richtig schlecht deswegen. Ich muss lernen, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Matthew war eine ganze Weile böse auf mich, und das hat fast so wehgetan, wie ihn weinen zu sehen. Sein Dad ist so gemein, richtig gemein. Man kann es ihm an den Augen ansehen. Er ist eiskalt. Er ist scheinbar immer wütend, und es macht ihm Spaß, andere Leute zu verletzen. Er hat den Streit richtig genossen. Ich glaube, in Wirklichkeit ist er ziemlich traurig, und ich frage mich, wie es gekommen ist, dass Matthews Leben und mein Leben so unglücklich geworden sind. Wenn seine Mutter noch leben würde, und wenn mein Dad noch leben würde, hätte alles so anders laufen können.
Dann ist der Zug eingefahren, und mir sind fast die Beine eingeknickt. Die Leute sind eingestiegen, und wir haben eine
Ewigkeit dagestanden und uns verzweifelt
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