Wo Dein Herz Zu Hause Ist
bekam ein schlechtes Gewissen. Susan war völlig durcheinander, seit sie von zu Hause ausgezogen war, und offenbar fand sie keinen Weg in einen neuen Alltag. Wenn sich Harri verloren fühlte, dann war Sue komplett desorientiert, und der Bauunternehmer war ein Symptom dafür.
«Ist schon gut, ich weiß selbst nicht, was ich eigentlich erwartet habe. Vielleicht sollten wir diese Nachmittagsführung durch das historische Gefängnis mitmachen und anschließend wieder nach Hause fahren.» Mit einem grässlichen
Piep Piep
schloss sie das Auto auf. Sie stiegen ein.
Sue wandte sich ihrer Freundin zu. «Hör mal, ich sehe mir jetzt alles an, was Wicklow an Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, und du gehst inzwischen zum Friedhof. Dort möchtest du mich doch eigentlich sowieso nicht dabeihaben.»
Harri lächelte. «Macht dir das auch wirklich nichts aus?»
«Nein. Außerdem kommt es mir so vor, als gäbe es hier ein paar halbwegs akzeptable Läden.» Sue schnappte sichihre Tasche und küsste ihre Freundin vorm Aussteigen auf die Wange. «Viel Glück, Harri. Ich wünsche dir, dass du findest, wonach du suchst.»
«Mir würde es schon reichen, wenn ich wüsste, wonach ich suche», gab Harri mit einem kläglichen Lächeln zurück.
Sue winkte Harri nach, die sich die Straße hinunter auf den Weg zum Friedhof machte.
Brendan beendete seine Nachmittagssprechstunde um Punkt vier Uhr. Bis auf die Patienten, die sich den grassierenden Darmgrippevirus eingefangen hatten, ging es den Leuten in Wicklow gut, und er hatte vor, den Nachmittag freizumachen. Zuerst würde er sich bei Donnali’s einen Kaffee besorgen, dann zum Friedhof gehen und anschließend eine Runde Golf spielen. In dem Coffee-Shop drängten sich Touristen und Einheimische.
«Da sind Sie ja, Dr. McCabe. Gerade habe ich zu Sarah gesagt, dass wir Sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen haben.»
«Ich habe viel zu tun, Martina.»
«Dieser Virus ist wirklich furchtbar.»
«Ja, es hat viele erwischt.»
«Meinen Malachy zerreißt es fast innerlich, jedenfalls behauptet er das.»
«Bettruhe, Martina, Bettruhe und viel trinken.»
«Unglücklicherweise, Herr Doktor, besteht gerade darin ja ohnehin sein Leben.«
Er war mit seinem Kaffee auf dem Weg hinaus, als er beinahe mit Sheila Doyle zusammenstieß, die gerade hereinkam.
«Dr. McCabe.»
«Sheila.»
«Geht es Ihnen gut?»
«Ja, ich will gerade Liv besuchen.»
Sheila erstarrte.
Der elfte Juli!
«Ich habe es vergessen», gab sie verlegen zu.
«Es ist ja auch schon lange her», sagte Brendan und lächelte.
«Ich war ihre beste Freundin. Ich hätte es nicht vergessen dürfen.»
«Seien Sie nicht dumm, Sheila. Sie haben ein Haus voller Kinder, ein Geschäft zu führen und einen insulinabhängigen Mann, der noch dazu reichlich dickköpfig ist.»
«
Sie
haben daran gedacht», sagte sie leise.
«Ich führe schließlich auch ein entspanntes Single-Leben. Wie geht es Patrick übrigens?»
«Gut. Er treibt mich in den Wahnsinn, aber sonst geht es ihm gut.»
Brendan legte ihr die Hand auf den Arm. «Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.»
«Nein, ich weiß. Danke, dass Sie mich an den Tag erinnert haben.» Sie lächelte ihm nach.
Ich fasse es nicht, dass ich dich vergessen habe. Ach Liv, es tut mir so leid.
Sue unternahm eine Tour durch die Boutiquen. Innerhalb von drei Minuten hatte sie eine wunderschöne Seidenbluse entdeckt.
Vermutlich wird meine Visa-Karte heute schwer beansprucht werden
.
Harri und sie hatten nicht darüber gesprochen, dass sie Keith zu George mitgebracht hatte – sie hatten beide das Thema tunlichst gemieden. An dem Abend hatte Sue überhaupt nicht darüber nachgedacht, welche Konsequenzenes haben könnte, dass sie mit Keith auftauchte. Erst als Aidan ihr gesagt hatte, dass ihr Mann und ihre Tochter vielleicht auch kommen würden, war ihr aufgegangen, wie schrecklich eine zufällige Begegnung wäre. Ihr war fast schlecht geworden, und auch noch, als sie auf dem Weg in die
Front Lounge
waren, eine Bar, in die Andrew niemals einen Fuß setzen würde, konnte sie die bitteren Gefühle der Angst oder des Versagens, oder was es sonst war, nicht loswerden. Sie sah hinüber zu Keith, der sich in einer Schwulenbar sichtlich unwohl fühlte.
Was zum Teufel mache ich eigentlich?
In Wahrheit hatte er sich schon den ganzen Abend unwohl gefühlt. Er hatte nie ihr fester Freund sein wollen, und Gelegenheitslover gingen nicht zusammen zu einer Weinprobe. Sue hatte ihn dazu überreden
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