Wo Dein Herz Zu Hause Ist
war nicht in Sicht. Die Anwesenheit von Father Ryan überraschte die Geschwister. Er war gerade hinten im Garten, um eine Zigarette zu rauchen.
Sehnsüchtig warf George einen Blick durchs Fenster. «Hast du was dagegen, wenn ich mich ihm anschließe?», fragte er Harri.
«Okay», gab sie mit einem Lächeln zurück.
«Ich bin gleich wieder da.»
«Okay», sagte sie.
Hör auf, immer okay zu sagen, Harri.
«George», begrüßte Father Ryan draußen seinen Neffen.
«Onkel Thomas.»
«Du siehst gut aus.»
«Mir geht es auch gut.»
«Schön für dich.»
«Also weißt du auch Bescheid.» George redete nie um den heißen Brei.
«Aber ich bin nicht derjenige, der etwas dazu sagen sollte», gab Father Ryan zurück und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Auch George zündete sich eine an. «Und trotzdem bist du gekommen.»
Sie schwiegen einen Moment lang.
«George?»
«Ja, Onkel Thomas.»
«Ganz gleich, was heute Abend hier passiert, eure Eltern – mein Bruder und seine Frau – also, wir habengetan, was wir alle für das Beste hielten. Ich möchte, dass du das weißt.»
Bevor George etwas darauf erwidern konnte, hatte Father Ryan seine Zigarette ausgedrückt und war wieder ins Haus gegangen.
Während des Essens wurde nicht viel geredet. Gloria war als Letzte an den Tisch gekommen. Sie war blass, und auch wenn sie lächelte und sich unbefangen gab, strich sie sich sehr häufig mit der Hand über den Hals. Niemand hatte großen Appetit. Harri und George gingen tausend Fragen durch den Kopf. Sie warteten ab. Alle schienen auf irgendetwas zu warten.
Schließlich begann Duncan zu sprechen. Er stand auf, als ob er eine Rede halten wollte.
«Ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll», sagte er. «Harri, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll», wiederholte er und sah seine Tochter an.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. George hielt ihre Hand und überlegte, was zum Teufel jetzt kommen würde. Gloria rang sich ein Lächeln ab, obwohl ihr Tränen über die Wangen liefen, und machte den Geschwistern so noch mehr Angst.
«Du musst wissen», sagte Duncan mit versagender Stimme, «dass du das Wunder unseres Lebens bist.»
Plötzlich fühlte sich Harri in die Zeit zurückversetzt, als sie kaum zehn Jahre alt gewesen war und mit Nana zusammen draußen auf Nanas Bank gesessen hatte.
«Harri», hatte Nana gesagt, «habe ich dir eigentlich schon jemals gesagt, dass du ein kleines Wunder bist?»
«Warum, Nana?»
«Weil dich der Himmel geschickt hat, als wir dich am dringendsten brauchten.»
Harri kontrollierte ihre Atmung.
Ich werde nicht panisch. Mir geht es gut. Mir geht es SEHR gut.
Duncan fuhr fort. «Vor dreißig Jahren erwarteten Gloria und ich Zwillinge.» Er lächelte Gloria an, und sie neigte den Kopf zum Zeichen, dass er fortfahren könne. «Es war eine wundervolle Zeit in unserem Leben», sein Gesicht entspannte sich bei der Erinnerung, «eine wundervolle Zeit.»
Father Ryan kratzte sich an der Hand. Das Geräusch war so laut, dass alle aufsahen. «Entschuldigung», sagte er verlegen.
Diese verflixte Zentralheizung wird nochmal mein Tod sein.
Nach kurzem Schweigen sprach Duncan weiter. «Die Schwangerschaft verlief ohne jedes Problem.» Er nickte. «Alles war einfach perfekt.»
Harris Magen verkrampfte sich. George ging es ebenso.
Jetzt sag’s endlich.
«Am dreißigsten April um drei Uhr nachmittags setzten bei Glory die Wehen ein. Es war ein Freitag. Ich bearbeitete gerade einen Mordfall. Damals waren Mordfälle noch eine Seltenheit. Eure Mutter war sieben Wochen zu früh dran, und ich war in Kildare. Nana hat sie ins Krankenhaus gebracht.» Bei der Erinnerung an Nana lächelte er seine Frau an. «Ihr dürft nicht vergessen, dass wir damals noch keine Handys hatten. Ich wusste nicht einmal, dass Glory im Krankenhaus war, bis ich um neun Uhr abends zu Hause anrief, wo Nana darauf wartete, dass ich mich meldete. Es dauerte nochmal eine Stunde, bis ich endlich im Krankenhaus angekommen war. Harri war schon auf der Welt, und George wurde gerade geboren. Glory schwebte in Lebensgefahr.» Seine Augen wurden feucht. Gloria senkte den Kopf. «Sie blutete stark, und sie schrie immerzu.» Er hielt inne. «Sie schrie, dass sie totwäre. Ich dachte, sie wollte mir sagen, dass sie am Ende sei und aufgeben würde. Der Arzt und die Schwestern sagten nichts – sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, George sicher auf die Welt zu bringen. Und dann kamst du», er wandte sich an George, «und ich habe dich
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