Wo Dein Herz Zu Hause Ist
Schneebesen und Pfannenwender. Sie hatte davon schon jede Menge zu Hause, aber am merkwürdigsten war ihr fast sklavischer Kaufzwang, wenn es um Backgeräte und -utensilien ging, denn sie hasste Kuchenbacken. Susan hatte mehr Küchenzeug, als in ihre Schubladen passte, sodass vieles, was sie in doppelter oder dreifacher Ausführung besaß, vergessen in irgendwelchen dunklen Ecken ihrer Küchenschränke ruhte.
Heute kümmere ich mich darum
, hatte sie gedacht, als sie den Wecker abgestellt hatte.
Es ist höchste Zeit zum Ausmisten
. Dann hatte sie damit angefangen, die überfüllten Schubladen auszuräumen. Wenn sie Sorgen hatte, räumte Susan gern Schränke auf, putzte die Toilette, wusch ein paar Sachen mit der Hand, schrubbte Kacheln oder stutzte die Hecke. Mit ihrem Mann Andrew hatte sie schon über eine Woche lang kein ernstzunehmendes Gesprächmehr geführt. Meistens war er schon aus dem Haus, wenn sie aufstand, und er kam erst zurück, wenn er davon ausgehen konnte, dass sie im Bett lag. Susan brauchte ihre acht Stunden Schlaf, sonst war sie am nächsten Tag zu nichts zu gebrauchen. Um halb zwölf schlief sie ein, ganz gleich, ob der Fernseher lief oder sie gerade in einem Buch gelesen hatte.
Gott sei Dank schläft sie,
dachte er, wenn er durch ihr Schlafzimmer ins Gästezimmer ging. Er war müde und fand es immer anstrengender, Susan aus dem Weg zu gehen. Vielleicht hatte er deshalb heute morgen verschlafen.
Mist
. Er hörte sie in der Küche die Schubladen aufziehen, obwohl er noch oben an der Treppe stand und der Flur unten ziemlich lang war. Sie machte mit Absicht so viel Lärm, vielleicht, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sie auch noch existierte.
Weil er aber doch einen Kaffee wollte, ging er in die Küche. Susan saß inmitten ihrer Kochutensilien auf dem Boden. Keiner von ihnen sagte etwas. Andrew nahm sich eine Tasse. Susan sortierte weiter Schneebesen, Pfannenwender und Reiben. Die Sonne schien durch die Küchenfenster herein, und die Terrassentür, die zu dem sorgfältig gepflegten Garten führte, stand offen. Andrew ging mit seinem Kaffee und der Zeitung hinaus. Das Radio, das neben ein paar Hängepflanzen auf dem Regalbrett über der Spüle stand, lief leise. Eine Studiorunde redete darüber, welches die beste Version von Leonard Cohens «Hallelujah» war. Jeff Buckley war der Favorit. Sie waren begeistert von dem jungen Musiker, fanden ihn
einzigartig
und nannten seine Stimme
ergreifend
. Eine Frau warf das Wort
bewegend
ein. Die anderen Gäste sagten nichts dazu, aber Susan konnte sich ihr zustimmendes Nicken vorstellen.Dann sprachen sie über Buckleys viel zu frühen Tod und den Verlust, den die Musikwelt damit erlitten hatte, und plötzlich liefen Susan die Tränen über die Wangen. Sie weinte um einen Musiker, dessen Namen sie noch nie zuvor gehört hatte.
Ich muss ihn googeln
.
Eine Woche war seit der Enthüllung vergangen, und obwohl sich Harri in ihr heruntergekommenes Cottage in Wexford verkrochen hatte, gelang es ihr beim besten Willen immer noch nicht, die neue Realität auszublenden. Ihre Beklemmungen hatten sich wieder eingestellt. Allerdings überfielen sie diese Gefühle nicht wie früher schlagartig und raubten ihr nicht den Atem, sodass sie Todesangst bekam, sondern sie nahmen langsam als schleichende Bedrohung von ihr Besitz und setzten sich fest, obwohl sie sich körperlich nicht beeinträchtigt fühlte. Die Folge dieser Beklemmungen waren andauernde Konzentrationsprobleme.
Wo sind meine Schlüssel? In meiner Handtasche. Und wo ist meine Handtasche? Ich bin sicher, dass ich sie an die Garderobe gehängt hatte. Und wo ist sie jetzt? Sie hängt über meiner Schulter. Genau. Also, wo wollte ich eigentlich gerade hin?
Sie hatte sich einen ganzen Stapel Bücher besorgt, um ihren irrationalen Gedanken und dem Anblick der schauderhaften Einrichtung ihrer Zuflucht zu entkommen.
Ich existiere nicht. Und das ist nicht das Einzige. Meine Nichtexistenz spielt sich auch noch in einer grässlichen Bruchbude in Wexford ab
.
Harri hatte sich schon in vielen Krisensituationen ins Lesen geflüchtet. Ihr Plan war einfach. Sie würde lesen, lesen und immer weiter lesen, bis sie schließlich nicht mehr in der Lage wäre, über ihr eigenes Leben nachzudenken.
Genial
. Doch leider erfordert das Lesen eine gewisseKonzentration.
Verdammter Mist
. Harris Konzentrationsmangel in Kombination mit ständiger Ruhelosigkeit vereitelte ihren Plan, sich zwischen ein paar Buchdeckel zu flüchten.
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