Wo Dein Herz Zu Hause Ist
Sie litt nicht nur unter innerer Unruhe, sondern zitterte auch ständig. Einmal, als sie Lippenstift auftragen wollte, bebten ihre Lippen so, dass sie dachte, sie müsse jetzt nur noch eine Flasche Wodka in der anderen Hand halten, dann wäre sie eine perfekte Karikatur von Sue-Ellen Ewing. Je länger dieser Zustand anhielt, desto erschöpfter fühlte sie sich insgesamt. Ihr war ständig schlecht, und wenn sie sich endlich einmal dazu bringen konnte, eine Kleinigkeit zu essen, waren unweigerlich Magenkrämpfe und ein Spurt zur Toilette die Folge, wo sie sich übergeben musste. Dann erschien ihr der Geruch so furchtbar, dass ihr die Frage durch den Kopf schoss, ob man eigentlich innerlich verfaulen konnte. Wenn sie vor sich selbst hätte davonlaufen können, hätte sie es bestimmt getan. Doch trotz ihres Zustandes, und obwohl es jeden Tag schlimmer zu werden schien und sie sich außerstande fühlte, mit jemandem zu sprechen, wollte sie nicht, dass sich die Menschen, an denen ihr etwas lag, Sorgen machten. Deshalb schickte sie dem Mann und der Frau, die so getan hatten, als seien sie ihre Eltern, und ihren Freunden jeden Tag die gleiche SMS.
Jeden Tag beantworteten der Mann und die Frau, die so getan hatten, als seien sie ihre Eltern, und ihre Freunde die SMS.
Mum:
Dad:
Melissa:
Susan:
Aidan:
Aidan:
Harri versuchte sich mit Putzen abzulenken, aber sie war zu müde dafür. Sie versuchte zu schlafen, aber sie war zu unruhig. Sie versuchte zu essen, aber sie befürchtete, dass ihr davon wieder schlecht würde. Sie fühlte sich grässlich. Ihre Augen brannten, ihre Haut war ausgetrocknet und juckte, und mit der Zeit befürchtete sie, verrückt zu werden. Sie war so fertig und unkonzentriert, dass ihr ständig Missgeschicke passierten. Als sie sich einen Tee machen wollte, zuckte ihre Hand wieder einmal unwillkürlich, und das kochende Wasser lief ihr den Arm hinunter über die Hand.
Das kann jedem passieren. Das ist nicht schlimm.
Sie hielt ihren Arm unter den Wasserhahn. Doch versehentlich drehte sie das heiße Wasser statt des kalten auf.
Sch … Atmen. Alles in Ordnung. Dreh einfach das heiße Wasser ab, und stell das kalte an. Atmen nicht vergessen.
Sie zog sich ein Geschirrtuch heran, um es in dem kalten Wasser einzuweichen, und der Teebecher, der darauf gestanden hatte, fiel über die Tischkante und auf ihren Fuß, bevor er auf dem Fliesenboden in Scherben ging.
Okay, jetzt am besten einfach die Treppe raufhumpeln, das Schlafzimmerfenster aufmachen und springen.
Sie hätte am liebsten geschrien, doch sie tat es nicht. Lautes Fluchen und Brüllen erforderte schließlich ein gewisses Maß an kohärentem Denkvermögen und körperlicher Energie. Beides fehlte ihr, und deshalb setzte sie sich nur schweigendauf den harten, kalten Fliesenboden und umfasste ihren verbrannten Arm. Sie weinte nicht. Sie hatte die ganze Woche lang kein einziges Mal geweint.
Es war kurz nach sieben, als James in die Einfahrt fuhr. Harri hatte seit vier Uhr auf dem Küchenboden gesessen. Sie hörte ihn nicht ankommen. Dann wurde die Hintertür geöffnet, und er stand vor ihr.
«James?», sagte sie blinzelnd, als wäre sie nicht ganz sicher, ob sie eine Vision hatte.
«Ich bin’s», sagte er und hockte sich vor sie auf den Boden. Er nahm ihre Hand in seine und wickelte das nasse Handtuch ab. «Was ist passiert?»
«Ich hab mich verbrannt.»
«Sieht nicht so schlimm aus», sagte er und lächelte.
«Nein, wahrscheinlich hast du recht.»
«Wie wär’s mit Aufstehen?», schlug er vor. Er ahnte, dass sie schon lange so auf dem Boden saß. Sie sah furchtbar aus – mager, blass, erschöpft –, und offensichtlich war sie so müde, dass sie kaum ihren Blick fokussieren konnte.
«Meine Beine sind taub», sagte sie.
«Das macht nichts. Ich trage dich.»
«Du lässt mich vielleicht fallen», stellte sie fest, ohne dass es sonderlich besorgt klang.
Wenn ich falle, breche ich mir hoffentlich das Genick.
«Ich verspreche dir, dich nicht fallen zu lassen.»
«Nicht nötig», murmelte sie. Nachdem sie sich schon den großen Zeh
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