Wo Dein Herz Zu Hause Ist
erst gar nicht darum gebeten, sie wäre mir dort sowieso nur peinlich gewesen. Zur Zeit ist sie echt völlig durchgedreht. In der einen Minute lacht sie, in der nächsten weint sie, dann lacht sie wieder, und dann brüllt sie los, dann entschuldigt sie sich und fängt wieder an zu weinen, dann lacht sie wieder und so weiter. Ich schwöre, sie ist so verrückt geworden, dass letzte Woche sogar
er
mir leidgetan hat. Aber das war nur für einen Augenblick. Anschließend habe ich ihm gleich wieder den Tod an den Hals gewünscht, also ist alles in Ordnung.
Ich konnte trotz der gebrochenen Finger weiterarbeiten, allerdings mehr im Büro als in den Ställen. Das hat mir wirklich gefallen. Die Sekretärin hatte gerade einen Job in Dublin
angenommen, und es gab keinen Ersatz, also sind meine gebrochenen Finger grade recht gekommen. Meistens habe ich Telefondienst gemacht und die Nachrichten auf eine Tafel geschrieben, weil Kreide dicker ist und ich sie mit der Klaue, die ich statt einer Hand hatte, besser halten konnte. Es war Matthews Idee, und sie war richtig genial. Zuerst habe ich gedacht, ich würde mich tödlich langweilen, aber dann kam es anders, es war sogar ziemlich interessant. Ich war oben in dem schicken Trainingsbereich des Anwesens – es war wirklich verdammt schick. Am Anfang hat mich Matthews Dad ignoriert, aber eines Tages kam er total wütend ins Büro und brüllte irgendetwas von einem bestellten Mittagessen, das nicht geliefert worden sei, obwohl er einen unheimlich wichtigen Gast habe, nämlich einen Prinzen aus Saudi-Arabien!!! Jedenfalls hatte die Sekretärin, die nach Dublin gegangen war, vergessen, die Bestellung bei irgend so einem Edelrestaurant – lustigerweise in Dublin – aufzugeben. Also habe ich, während Matthews Dad ausflippte, Sheilas Dad angerufen und ihn gebeten, einen richtig urigen Pub-Imbiss zu liefern. Er hat sofort mitgemacht, und dem Prinzen hat es total gut geschmeckt. Danach hat Matthews Dad gesagt, wie gut er es findet, dass ich selbständig denken kann, und gemeint, ich sei eine tolle PA. Keine Ahnung, was eine PA ist, aber es klingt super. Seitdem schwänzelt er ständig um mich rum. Also, wenn ich sage, er schwänzelt ständig um mich rum, dann meine ich damit, dass er mich für genial hält, und ich schätze, wenn ich keine Lust habe, in die Schule zurückzugehen, um im September den Abschluss zu machen, dann kann ich bestimmt bei ihm arbeiten. Ich glaube allerdings nicht, dass Matthew das gut fände. Ist ja sowieso nur so ein Gedanke.
Was gab’s noch? Sheila und Dave hatten sich getrennt, aber
nach zwei Wochen waren sie wieder zusammen, und jetzt sagt Sheila, dass sie sich bestimmt nie wieder trennen werden. Ja, glaub ich, und meine Mam ist auch ganz normal! Jedenfalls hatte Dave Schluss gemacht, weil er fand, dass sie sich an ihn hängt wie eine Klette und weil sie ihn nicht ermutigt hat, als er verkündete, dass er später sein Geld als Bergsteiger verdienen will. Dave ist wirklich total bescheuert. Als Bergsteiger! Wie soll das denn funktionieren? Wer bezahlt für so was? Warum sollte man so was machen? Was für einen Zweck hat das überhaupt? Mir kann es ja egal sein, aber Dave ist der faulste Typ, den ich kenne. Der würde sich nicht mal kratzen, wenn es jemand anders für ihn tun würde, und daheim, wenn es keiner mitkriegt, lässt er sich garantiert von seiner Mutter kratzen. Die sieht sowieso komisch aus und hat ständig ein feuchtes Taschentuch in der Hand. Jetzt will Dave immer noch Bergsteiger werden, und Sheila tut so, als fände sie das gut, weil ihre Mutter ihr gesagt hat, das sei bei Dave nur eine Phase. Sheila überlegt sich jetzt ernsthaft, ob sie Friseurin werden soll, statt wie früher nur darüber zu reden. Sie hat mir sogar eine Hochsteckfrisur gemacht. Ist nicht besonders geworden, meine Haare waren ganz verfilzt, und ich habe Kopfschmerzen bekommen, aber sie ist schließlich Anfängerin und hat noch keine Ausbildung, also kann man noch nichts sagen.
Dr. B.! Was kann ich Neues über Dr. B. sagen? Er muss sich entscheiden! Wir haben mehr miteinander zu tun, seit ich mir die Finger gebrochen habe. Oh, ich habe vergessen zu schreiben, dass er sich über
Maurice
, den Roman, den ich ihm geschenkt habe, zuerst überhaupt nicht gefreut hat. Er ist fast umgefallen, als er den Rückentext gelesen hat, und wir haben eine Woche kein Wort miteinander geredet. Aber dann, als ich mir die Finger gebrochen hatte, hat er
zugegeben, dass er es gelesen
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