Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
auf die Frage fand, ob das im Zusammenhang mit dem Treiben der Keller-Gestapo 1944/45 stehen könnte.
Die zweite Sache, die Manfred von Adolf Wegemann erhielt, bezog sich dann aber direkt auf die Keller-Gestapo. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1973 schrieb Paul Seligen an Adolf Wegemann einen Brief, der von erheblichen Seelenkämpfen des Verfassers zeugte. In seinen Ausführungen verworren, versuchte er sein Verhalten in der Nazi-Zeit zu erklären. Zum Schluss raffte er sich zu einem doppelt unterstrichenen „Es tut mir leid“ auf. Manfred fand den Brief eine sehr glaubwürdige Entschuldigung, gerade weil er zwischen den Zeilen einen verzweifelten Menschen glaubte herauslesen zu können, der unter seiner ehemaligen nationalsozialistischen Gesinnung litt.
In dem Brief gab es auch eine Passage, die von Klaus Wilkens erzählte: „Nicht jeder wurde von der Entnazifizierung erwischt, einige stehen heute wieder gut da, so auch Klaus Wilkens – vom lieben Gott nicht als schwer genug empfunden, blieb er an der Route gebunden, unser Klausen.“
Manfred versuchte diese Bemerkung zu interpretieren: Klausen statt Klaus – die Verniedlichungsform war Ausdruck des freundschaftlichen Kontaktes zwischen Schulleiter Paul Seligen und dem Geheimen Staatspolizisten Klaus Wilkens. Und der liebe Gott hat Klaus Wilkens, da er bei allem Übel wohl kein Massenmörder war, seine Route, also seinen Weg, weiter gehen lassen. Und dort geht es ihm offensichtlich ganz gut. Ob Paul Seligen das nun so oder so ähnlich gemeint hat, entscheidend ist, dass ich Klaus Wilkens finde, schlussfolgerte Manfred.
Dass der Herr vom Einwohnermeldeamt sich bei solch einer Suche hilfsbereit zeigen würde, hatte Manfred schon in Erinnerung an dessen freundlicher Stimme bei seiner telefonischen Anfrage wegen Adolf Wegemann zu hoffen gewagt. Nachdem es für den Beamten keinen Zweifel daran geben konnte, dass Manfred im Namen der Wissenschaft unterwegs ist und somit die rechtlichen Voraussetzungen für eine Auskunft gegeben waren, bearbeitete er Manfreds Antragsformular zügig. Beim Blick in die örtliche Kartei ließ sich jedoch weder für die Gegenwart noch für die jüngere oder ältere Vergangenheit ein Klaus Wilkens ausfindig machen.
Erfolg hatte dagegen eine Anfrage beim Zentralregister der Einwohnermeldeämter. Nach zehn Tagen erhielt Manfred eine Liste von vier Männern mit dem Namen Klaus Wilkens, die über ganz Deutschland verteilt lebten. „Viel Erfolg bei der Arbeit“, wünschte der Beamte noch.
Vielleicht sollte ich nach meinem Diplom auf Telefonist umschulen, dachte Manfred angesichts dessen, dass er sich auch im Folgenden mit einer seriös klingenden telefonischen Anfrage bei demjenigen Klaus Wilkens, der als einziger aufgrund seines Alters in das Suchmuster passte, Gehör verschaffen konnte. Manfred stellte sich als Testamentsvollstrecker vor, der zwecks Erbschaft einer nicht ganz unbedeutenden Geldsumme einen Mann namens Klaus Wilkens suche. Mehr dürfe er am Telefon nicht verraten.
„Ich glaube, Sie täuschen sich. Warum sollte mir jemand irgendwas vererben?“
„Ich erlebe es in meinem Beruf immer wieder, dass jemand ganz ungeahnt eine Erbschaft erhält. Manchmal sind es alte Schulfreunde, die sehr vermögend geworden waren, dabei nur eine kleine oder gar keine Familie haben. Das macht meine Arbeit oft so schön, Herr Wilkens, dass ich den Menschen gute Nachrichten überbringen kann. Versprechen kann ich Ihnen auf jeden Fall, dass sie keinerlei Rechnung zu befürchten haben...“ Manfred lachte halbwegs überzeugend.
„So“, meinte der Angesprochene zögerlich, bevor er lapidar hinzufügte, „dann kommen Sie doch vorbei.“
Eine größere Entfernung war dafür Manfred zu überbrücken, was sowohl für seinen alten Kadett als für seinen Geldbeutel eine Herausforderung darstellte. Aus Rücksichtnahme auf beides fuhr Manfred mit lediglich 80 Stundenkilometern über die Autobahn, ein Tempo, dass ihn schon auf die Langsamkeit des Gesprächs vorbereiten sollte, das ihn an seinem Reiseziel erwartete. Manfred stellte sein wenig repräsentatives Auto ein paar Straßen vor der anvisierten Adresse ab. Er selbst hatte sich so gut es geht in Schale geworfen; auf eine Krawatte hatte er verzichtet, denn damit wäre er sich verkleidet vorgekommen.
Als Herr Wilkens die Tür aufmachte und nach der Begrüßung zum Eintritt aufforderte, konnte sich Manfred den Mann überhaupt nicht als herrischen Nazi-Chef vorstellen. Alles an ihm wirkte gemütlich.
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