Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
ich mich mit ihm ja irgendwo unterhalten, wo wir alleine sind“, bat Manfred, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass der ehemalige Schulleiter mit drei anderen Männern in einem Raum liegt.
„Das wird kaum möglich sein. Herr Wegemann kann nur noch selten sein Bett verlassen.“
Beim Eintritt in das Zimmer fühlte sich Manfred an das Lazarett erinnert, das er vor kurzem in dem Kriegsfilm „Hunde, wollt ihr ewig leben“ gesehen hatte. Fast vor Schreck sagte er überlaut „Guten Tag“, dem aber keinerlei wahrnehmbare Reaktion folgte. Lediglich ein Schnaufen glaubte Manfred hören zu können.
„Ist es möglich, hier zu lüften?“, fragte Manfred höflich.
Die Heimleiterin reagierte kurz angebunden. „Wenn vier ältere Menschen zusammenleben, dann hat das einen Eigengeruch, Herr Semmler.“
„Sicher, sicher, ich meine ja nur...“
„Und ich bitte Sie, sich kurz zu halten. Es gibt bald Abendessen und dann ist Nachtruhe.“
„Selbstverständlich.“
Die Heimleiterin stellte Manfred kurz Herrn Wegemann vor, ohne dass der antwortete. Vielleicht ist Schweigen ja Kult hier, versuchte Manfred mit der Situation klarzukommen.
Nachdem er mit den Männern allein im Raum war, setzte er sich auf einen Stuhl neben dem Bett von Adolf Wegemann.
„ Tach“, hörte Manfred Herrn Wegemann sagen.
Nach den bisherigen Vorkommnissen hatte Manfred so viel Redseligkeit nicht erwartet. Einen Moment war er überfordert, dann fing er sich wieder.
„Schönen guten Tag, Herr Wegemann. Mein Name ist Manfred Semmler. Ich bin mal am humanistischen Gymnasium gewesen“, log er.
„Ich auch.“ Der Gefragte schien zu grinsen.
Ohne jeden Zweifel ist Herr Wegemann der lebendigste hier, beobachtete Manfred. Davon zeugten auch die Bücher, die den Beistelltisch schmückten. Herrn Wegemann blieben die Blicke des Besuchers nicht verborgen.
„Mein Kopf kann noch ganz gut. Drei, vier Stunden am Tag Lesen geht noch. Dann bin ich so kaputt, dass ich trotz der Umstände hier“, dabei zeigte Herr Wegemann mit einer langsamen Armbewegung in den Raum, „tief schlafe. Jedenfalls meistens.“
Klar, Lebensqualität definiert der Mensch immer anders, überlegte Manfred. Dass man mit der Lektüre geliebter Bücher zufrieden sein kann, gilt wohl gerade für gebildete Menschen. Aber in diesem Umfeld? In einem zweitklassigen Altenpflegeheim? Wieso überhaupt, der hat doch als Schulleiter gut verdient und kannte tausend Leute.
Wiederum schien Herr Wegemann Manfreds Gedanken zu ahnen. „Es kann viele Gründe haben, wenn der Wohlstand wegbricht. Ich hatte einige erfüllte Zeiten in meinem Leben, so bin ich mit dem, was mir jetzt noch bleibt, ganz zufrieden, wenn man mal von den Schmerzen absieht... Die Pfleger sind auch nett hier.“
„Das freut mich für Sie.“ Manfred musste sich für diesen Satz nicht anstrengen. Irgendwie gefiel ihm der Alte. Und dass der so offen von sich redete, sah er als gutes Omen für seine Absichten.
„Sie möchten sicherlich fragen, ob ich wegen aktueller Fehlstunden nochmal als Lehrer aushelfen will.“
Die beiden lachten. Irgendeiner im Raum kicherte mit.
„Ich forsche über die Zeit des Nationalsozialismus.“
Manfred wartete einen Moment, neugierig, ob Wegemann eine Reaktion zeigen würde. Die kam aber nicht.
„Also gut“, sprach Manfred weiter, „ich schreibe meine Diplomarbeit über diese Zeit, ich konzentriere mich dabei auf das Bildungswesen, versuche das exemplarisch am Beispiel einiger Schulen zu machen...“
„Und so auch an unserem humanistischen Gymnasium“, unterbrach ihn der alte Mann. „Eine lohnende Aufgabe.“
Abblocken hört sich anders an, resümierte Manfred. „Sie haben eine Meinung darüber, warum das lohnend ist, darf ich vermuten, Herr Wegemann.“
„Die Zeit war einmalig, natürlich nicht im positiven.“
Bei der nächsten Antwort wird er etwas über sein Verhältnis zur Wahrheit verraten, war sich Manfred sicher. „Können Sie etwas mit dem Ausdruck Keller-Gestapo anfangen, Herr Wegemann?“
Überrascht wie interessiert guckt er jetzt, registrierte Manfred. „Ich merke, Sie sind bei ihren Forschungen bereits zu Ergebnissen gekommen“, sprach der ehemalige Schulleiter. „Was wissen Sie denn genau über die Keller-Gestapo?“
Manfred erzählte ausführlich von seinen ersten Nachforschungen vor elf Jahren, die ihn mit der Keller-Gestapo in Berührung gebracht hatte. Über seine Motivation sagte er nichts.
„Warum interessiert Sie das Thema?“
„Mein Vater ist
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