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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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schlug es auf. „Hier hab' ich's... Er stand auf der obersten Stufe im Unteroffiziersrang.“ Der Professor stutzte, bevor er weitersprach. „Auch wenn sich seit 1944 die Beförderungen überschlugen, musste Wilkens viel geleistet haben, wenn er mit 21 Lenzen so weit oben war.“
    „Was Leistung damals im Terrorapparat so heißen konnte...“
    Nun studierte der Professor den Brief vom Schulleiter Paul Seligen an Lehrer Adolf Wegemann. Viele Minuten vergingen, ohne dass ein Wort fiel. So lang ist der Brief doch gar nicht, dachte Manfred. Er wollte sich gerade recken, da wurde er jäh unterbrochen.
    „Um Gottes Willen!“, rief der Professor.
    Manfred hielt eng die Stuhllehnen fest. „Ich habe dich immer für einen Atheisten gehalten...“
    Wider Manfreds Erwartung ging der Professor darauf ein. „Ja, ja... äh bzw. mein Ausspruch macht in diesem Zusammenhang durchaus Sinn.“
    „In welchem Zusammenhang?“
    Der Professor nippte an seinem Kaffeebecher. „Hör dir das mal an, es heißt in Paul Seligens Brief:
̦
Nicht jeder wurde von der Entnazifizierung erwischt, einige stehen heute wieder gut da, so auch Klaus Wilkens – vom lieben Gott nicht schwer genug empfunden, blieb er an der Route gebunden, unser Klausen.̒“
    Der Professor wiederholte die Sätze, als er erneut ein Buch aus einem seiner von Schriftmaterialien überquellenden Regale holte. Er strich über den Buchrücken, als er sagte: „̦Die Klosterroute̒ heißt das Werk, Manfred. Eine vor kurzem veröffentlichte Dissertation, geschrieben von einem Österreicher.“
    Manfred schnaubte sich die Nase. „Und du meinst die Herkunft spricht für Qualität?“
    „Das ist alles nicht so witzig, Manfred… Die Klosterroute steht für eine von hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche nach dem Krieg organisierte Fluchtroute für Nazis. Sie flohen über Italien, meist Südtirol und Rom, nach Südamerika, hauptsächlich nach Argentinien. Der Verfasser der Doktorarbeit ist sich sicher, dass auch Papst Pius XII. davon wusste. Kapierst du jetzt den Zusammenhang?“
    „Eher nicht...“
    „Hör noch mal hin: ‚Vom lieben Gott nicht schwer genug empfunden, blieb er an der Route hängen, unser Klausen.‘ Über die Fluchtroute wurden nur hochrangige Nazis ausgeliefert, heißt es in der Doktorarbeit. Der Satz könnte so viel bedeuten, dass für den Papst, auf Erden schließlich der Stellvertreter Gottes, Klaus Wilkens nicht hochrangig genug war, um für ihn einen der begehrten Plätze auf den Schiffen nach Südamerika zu reservieren. So blieb er hängen auf der Route, auf dem Fluchtweg…“
    „Unser Klausen, der Klaus“, führte Manfred zu Ende.
    „Nein, Manfred.“ Der Professor verlangte nach Manfreds Tabak. „Klausen ist hier nicht der Kosename für Klaus Wilkens.“
    „Sondern für wen?“
    „Für Niemanden.“
    „Toll.“
    „Ist gut, Manfred.“ Der Professor guckte genervt; er ertrug keine flapsige Bemerkung, wenn er am Nachdenken war.
    „Klausen steht nicht für den Vornamen Klaus“, wiederholte er streng. „Klausen steht in dem Brief für die namensgleiche Stadt in Südtirol.“
    Der Mund von Manfred öffnete sich. Erst als der Professor eine Zigarette dorthin steckte, schloss er sich wieder.
    „Klaus Wilkens blieb auf seiner Flucht in Klausen hängen… Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er dort noch heute.“
    „Mein Gott!“, rief Manfred.
    „Ich habe dich immer für einen Atheisten gehalten…“
    Manfred schmunzelte. „Geworden, Professor, geworden. Irgendetwas trieb mich als kleiner Junge in die Kirche. Und irgendetwas irgendwann zur Kritik daran... Machen wir vielleicht später mal zum Thema, wenn du mich endlich zum versprochenen Kurzurlaub einlädst...“
    „Ich weiß, ich weiß“, zeigte der Professor ein schlechtes Gewissen.
    „Sag̒ mal“, kam Manfred zum Thema zurück, „Warum hat Paul Seligen sich überhaupt so verschlüsselt ausgedrückt?“
    „Schau dir den Brief doch mal an. Als Paul Seligen kurz vor seinem Tod 1973 den Brief schrieb, war er fertig, komplett. Seiner Entschuldigung an Adolf Wegemann gingen jahrelange Seelenqualen voraus, darauf möchte ich wetten, die Entschuldigung war für ihn Überwindung und Befreiung zugleich. Und dann wusste er nicht, wie er mit Klaus Wilkens umgehen sollte. Ihn verraten oder nicht? Schließlich war das mal sein Freund. Alles war ambivalent in seinem Kopf.“
    „Könnte so gewesen sein.“
    Der Professor nickte. „In der Tat: könnte. Du tust gut daran, kritisch

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