Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
zu sein, auch mit meinen Überlegungen.“
Der Professor war noch nicht fertig. „Die Sache kann gefährlich werden. Kein Mensch zwingt dich dran zu bleiben.“
„Weichei kann ich nicht.“
Der Professor schaute über seine Regale. Dutzende von Studien zum Nationalsozialismus standen dort. Versunken drehte er sich wieder zu Manfred. Mehrmals setzte er mit dem Sprechen an, dann kniff er die Augen zusammen. „Du hast mich im Rücken.“
*
Manfred verzichtete auf eine schriftliche Anfrage, dafür hatte er angesichts der langsam arbeitenden italienischen Bürokratie nicht die Zeit.
„Buongiorno. Sono La Signora Conny Dimter a Frankfurt di Germania. Parlo con l'ufficio anagrafico?“, fragte Conny, die mittlerweile 13 Jahre mit Manfred zusammen lebte.
„Guten Tag. Sie können deutsch sprechen. Das tun in unserer Gemeinde 90% aller Einwohner.“
„Ah ja, richtig. Südtirol gehört für viele ja eigentlich immer noch zu Deutschland.“
Manfred, der Conny gegenüber saß, fasste sich an den Kopf. Ob die Äußerung geschickt war, hing von der politischen Gesinnung des Beamten ab.
Im Moment war für Manfred nichts zu hören aus dem Außenlautsprecher des neuen Telefons.
„Äh“, fragte Conny schließlich, „könnten Sie mich mit Il Signore Klaus Wilkens verbinden?“
Einen weiteren Moment blieb es ruhig in der Leitung. „Verehrte Dame. Sie haben es bei uns tatsächlich mit dem l'ufficio anagrafico zu tun. Zu Deutsch heißt das Einwohnermeldeamt, nicht Verbindungsbüro.“
„Ach so, ja, ja, Sie müssen entschuldigen.“ Und jetzt sprach Conny im koketten Tonfall all das, was sie vorher mit Manfred besprochen hatte. Dass sie bald vier Wochen nach Südtirol fährt, total nervös ist, weil sie noch nie so weit weg war und da als junge Frau ganz allein ist; dass sie an einem Sprachkurs für ihr Studium teilnehmen muss, und das ihr ein Klaus Wilkens empfohlen worden, der für deutsche Studenten öfter mal eine preiswerte Unterkunft besorgt. Aber vielleicht könne er ihr sonst ja weiterhelfen mit der Übernachtungsmöglichkeit, schloss sie ihre Ausführungen ab.
Connys Anstrengungen erzielten nicht die erhoffte Wirkung. Nach einer kurzen Pause hörte sie eine trockene Stimme: „Ich kann Ihnen die Telefonnummer der Zimmervermittlung geben, ansonsten aber nichts für Sie tun.“
Enttäuschung bei Conny. Sie wollte gerade irgendwas stammeln, um das Gespräch am Laufen zu halten, da fuhr der Beamte fort: „Aber dass Herr Klaus Wilkens Zimmer vermittelt, ist mir neu. Klausen ist eine 5.000 Einwohnerstadt, da weiß man, was die Leute so machen, gerade wenn man in meiner Position ist und das schon eine ganze Zeit macht.“
„Vielleicht ist das ja ein neuer Zuverdienst für Herrn Wilkens, wo er doch bald in Rente geht.“
Die Äußerung muss einen richtigen Beamten stutzig machen, dachte Manfred. Und in der Tat: „Vielleicht. Darf ich fragen, wer Ihnen Herrn Wilkens empfohlen hat?“
Manfred winkte ab, er zeigte auf die Telefongabel.
„Ach, eine Freundin. Vielen Dank erst einmal, ich werde schon was finden.“
Sogleich war das Gespräch beendet.
„Die Indizien sind eindeutig“, sagte Manfred. „Er steht im Telefonbuch und jetzt signalisiert uns die Behörde in Klausen einen Klaus Wilkens, der altersmäßig passt.“
*
Manfred wäre am liebsten sofort ins Südtiroler Land nach Klausen aufgebrochen, aber vorher musste er sich, wollte er gegenüber Klaus Wilkens halbwegs zielsicher agieren können, einiges an Kenntnissen über die Geheime Staatspolizei der Nazizeit aneignen.
Ganz wie es Manfreds Professor 1968 vorausgesagt hatte, waren in den siebziger Jahren eine unzählige Menge von Schriften über die braune Zeit erschienen und dabei war auch die Gestapo ein Thema gewesen. Man wusste noch nicht alles über sie, was man wissen wollte, aber man wusste doch eine ganze Menge.
Bei der ersten Orientierung in dem Labyrinth von Zahlen und ihm fremdartigen Begriffen versuchte Manfred die Gestapo in den Unterdrückungsapparat der Nazis einzuordnen. Die Gestapo war nicht die einzige Polizei damals. In zwei Hauptgruppen gliederten sich die staatlichen Sicherheitskräfte. Da existierten zum einen die Verbände der Ordnungspolizei, der harmlosere Teile, wie sich Manfred merkte. Zum anderen gab es die Sicherheitspolizei mit der Kripo und eben der Gestapo, später kamen auch NSDAP-Einheiten dazu, wie die SS. In diesen Organisationen der Sicherheitspolizei waren Menschenrechtsverletzungen an der
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