Wo die coolen Kerle wohnen
Phase, in der ich körperlich verunsichert war, Angst hatte zu straucheln. Das hing auch mit den schlechter gewordenen Augen zusammen. Mein Gefühl der Kontrolle war dadurch eingeschränkt, ich war irgendwie aus dem Tritt gekommen.
Interessant, dass ich jetzt wieder Tritt gefasst habe. Insgesamt. Ich bin beruflich auf dem richtigen Weg, und ich fühle mich heute auch in den Bergen wieder ganz sicher. Schon seltsam, wie das alles zusammengeht, wie die körperliche, seelische und berufliche Ebene zusammenhängen. Im Moment fühle ich mich so trittsicher und fit wie schon seit Jahren nicht mehr.
Ich finde nur, dass ich nach wie vor zu viel trinke und rauche. Diese Süchte hab ich noch nicht ganz im Griff.«
Gerhard
Gerhard wird in drei Monaten fünfzig und verdreht bei unserem Gespräch die Augen: »Fünfzig! Ich finde, das hört sich schon monströs an! Und vordergründig gibt es da ein paar ganz miese neue Kleinigkeiten, die mich irritieren und beschämen. Die Haare zum Beispiel, die auf und aus den Ohren und den Nasenlöchern sprießen, wenn man mal wieder vergessen hat, das zu kontrollieren. Dazu der Verlust der Haare auf dem Kopf, der einen auch nicht schöner macht.
Das erotische Erleben hat sich verändert, es ist irgendwie breiter geworden, aber keineswegs nur zum Guten. Es ist weniger gezielt sexuell als in jüngeren Jahren. Aber das finde ich nicht nur gut. Ich bin da sehr ambivalent. Manchmal braucht es ewig, bis wir in Gang kommen, oder mir wird, weil ich insgesamt mehr und bewusster wahrnehme, auch das Altern der Körper bewusster. Das ist nicht schön.
Meine Männlichkeit sehe ich allerdings nicht eingeschränkt oder in Gefahr. Erektionsstörungen hab ich schon immer gehabt, das war nie ein Problem, man kann ja genügend andere Sachen miteinander anstellen.
Für mich hängt ›Männlichkeit‹ überhaupt nicht mit körperlichen Dingen wie Zeugungsfähigkeit oder Dauererektionen zusammen. Ich mache das viel mehr an intellektuellen Dingen fest: dieses dringende, drängende Wissenwollen, der Forschergeist; nicht zu akzeptieren, was ist, sondern immer die Grenzen auszuloten.
Jedenfalls spüre ich den Forscherdrang in mir als eine männliche Qualität. Damit hängt aber auch ein ständiges Hinterfragen und eine ständige Unzufriedenheit mit dem Ist-Zustand zusammen. Ich habe eigentlich mein bisheriges Leben lang immer gehadert. Anders kenne ich mich gar nicht.
Ich habe viele Therapien gemacht, unter anderem auch Selbsterfahrungskurse in der Wildnis, und, so gut es ging, meinen Beruf vorangebracht. Aber als ewiger Haderer war ich immer auf der Flucht, nirgendwo zu Hause und habe sogar berufliche Angebote ausgeschlagen, sobald ich mich hätte festlegen sollen.
Das Hadern war mein vertrautes Lebensgefühl, also habe ich mich wieder darin eingerichtet. Immer im Mangel, immer im Selbstzweifel und dem Gefühl von Heimatlosigkeit und Unentschlossenheit.
Ich hatte auch keine Wünsche. Überhaupt keine Wünsche an das Leben. Ich wusste nicht einmal, was ich mir hätte wünschen können. Ich war eigentlich immer wunschlos unglücklich. Ich war von meinen Gefühlen wie abgeschnitten. Oben war dieser gut funktionierende Intellekt und unten so etwas wie Intuition und Trieb, aber es fühlte sich an, als würde die Verbindung dazwischen fehlen, die Gefühlswelt, die Herz und Hirn ineinander verschränkt. Ich konnte mich selbst nicht fühlen. Ich wusste nichts von mir, nicht wer ich war, nicht was ich wollte. Die Suche nach mir selbst hat bis vor kurzem angedauert!
Ich war schon 39, als ich meine jetzige Frau getroffen habe, sie ist ein Jahr jünger. Zwei Jahre später kam unser erstes Kind zur Welt, und wir haben geheiratet. Für mich war es wunderbar, Vater zu werden. Zum ersten Mal fühlte ich mich irgendwie geerdet.
Vor wenigen Wochen las ich einen Satz des Philosophen Walter Benjamin: ›Glücklich sein heißt: ohne Schrecken seiner selbst innewerden können.‹ Dieser Spruch hat mich getroffen wie ein Erkenntnisblitz, denn gerade jetzt, kurz vor meinem fünfzigsten Geburtstag, habe ich das Gefühl, dass ich erstmals ohne Schrecken ›meiner selbst gewahr werden‹ kann. Bisher hatte ich immer Angst davor, auf welche Schrecken ich in mir noch stoßen könnte. Das ist auf einmal vorbei. Nach Walter Benjamin wäre ich nun also plötzlich ›glücklich‹.
Es war die Tatsache, dass ich diesen Sohn habe, die schließlich und endlich dazu geführt hat, dass ich mich heute ›ganz‹ fühlen kann. Das ist schon
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