Wo die coolen Kerle wohnen
komisch. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlt sich das so an. Gleichzeitig habe ich Gicht in der Schulter und hier im Gelenk, und beim Fußball überholt mich ein älterer Kumpel, der besser trainiert ist, locker.
Aber ich glaube, irgendwie gehört das zusammen, greift ineinander – die eine Entwicklung wäre ohne die andere vielleicht gar nicht möglich: Der Körper musste etwas schwächer werden, zugleich konnte der Geist ruhiger werden und bei sich ankommen.«
Wie desorientierte Männer ihre flotten Frauen sehen
Dass das Nachlassen der physischen Kräfte auf geheimnisvolle Weise damit zusammenfällt, dass sich ihnen ein bislang weitgehend verschlossener Zugang zu ihrem eigenen Inneren öffnete; dass sie ab der Lebensmitte empfänglicher für eine breitere Palette an Empfindungen wurden – beides haben alle meine Gesprächspartner schmerzhaft und mit unterschiedlichen Auswirkungen erlebt.
Doch so ist es leider: Ohne Not ändert sich kein Mensch. Und ein Mann schon gar nicht. In den hier genannten Fallbeispielen musste Gernot anscheinend erst einen Burn-out erleben, der ihn zwang, sich mit seiner eigenen Schwäche und seinem Versagen auseinanderzusetzen. Erst dann war er seelisch in der Lage, das Schicksal anzunehmen, dass er einen behinderten Sohn hat. Ab diesem Zeitpunkt war er innerlich so weit, dieses Kind lieben und sich auch aus anderen gesellschaftlichen Zwängen befreien zu können. Die seelische Öffnung ermöglichte es ihm schließlich auch, seinen beruflichen Weg gemäß seinem veränderten Lebensgefühl neu zu definieren.
Armin musste von seiner Freundin verlassen und schwer krank werden, bevor er das ganze Ausmaß seiner Beziehungsmisere fühlen und ein selbstbestimmtes Leben beginnen konnte. Und Hannes musste sich anscheinend zwischen Job, Zusatzausbildung, Hausrenovierung und Beziehungsstress bis zur Erschöpfung aufreiben, um endlich zu spüren, dass er seine verletzten Gefühle und wichtigsten Bedürfnisse viel zu lange verdrängt, beziehungsweise gar nicht recht wahrgenommen hatte. Erst dann konnte er ein neues Ziel in seinen Lebens-Navigator eingeben.
In den seltensten Fällen empfinden Midlife-Männer die Erweiterung ihres Blickfeldes von Anfang an als Bereicherung. Für die meisten bedeutet sie zunächst eine Bedrohung. Denn mehr mitzukriegen von sich selbst ist nicht nur ungewohnt und darum unheimlich, sondern auch schambesetzt. Die damit einhergehende Verunsicherung passt einfach nicht zur Vorstellung vom unverwundbaren, zielorientiert agierenden Mann.
Ein Psychologe, mit dem ich sprach, hat seine persönliche Ambivalenz ironisch auf den Punkt gebracht: Zwar hält er seine neue (Be-)Rührbarkeit für eine natürliche Begleiterscheinung des Älterwerdens, bezeichnet die Symptome aber abwehrend mit dem medizinischen Fachbegriff »Affektinkontinenz«, der klingt, als handle es sich um eine hochnotpeinliche Krankheit, wenn ein reifer Mann zum Beispiel im Kino weinen muss oder gereizt aus der Haut fährt.
Es braucht Zeit, bis ein Mann sich in seiner inneren Welt so weit auskennt, dass er sie als seine eigene annehmen und sich einigermaßen selbstbewusst darin bewegen kann. Er hat anfangs oft nicht einmal Worte dafür.
Und ein Mann, der sich nicht artikulieren kann, der befürchten muss, die Kontrolle zu verlieren, fühlt sich unwohl. Und das ist ziemlich uncool. Ein »richtiger Mann« sollte in seinem Selbstverständnis doch stets in der Lage sein, »Klartext zu sprechen« und als »Fels in der Brandung« dazustehen. Das frisch aufgewühlte Meer in seinem Innern aber hat die Macht, diesen Fels zu unterspülen, ins Wanken oder gar zu Fall zu bringen.
Kein Wunder, dass die Männer ihre Frauen gerade in jener Zeit als übermächtig wahrnehmen, in der sie selbst emotional aufwachen und ein Gefühl für sich selbst entwickeln. Eine Zeit, in der ein nagendes Unbehagen an die Oberfläche drängt und sich eine vielleicht noch vage Unzufriedenheit mit sich und der bisherigen Lebenssituation breitmacht. Genau in diesem fast undurchdringlichen »Gefühlssumpf«, wie Männer die Welt der Emotionen gerne nennen, bewegen sich die Frauen nämlich lange schon ziemlich souverän – auf ihre spezifisch weibliche Art. Und haben dadurch die Oberhand.
Nichts lag für die genannten, aber auch für viele andere Männer in der Vergangenheit näher, als es ihren »Expertinnen« zu überlassen, das Beziehungsgeschehen zu bestimmen. Umgekehrt war es nur logisch, dass die Frauen den Job der Managerin des
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