Wo die coolen Kerle wohnen
Alterslosigkeit für ein männliches Privileg halten. Eine Illusion, die sich auch davon nährt, dass der männliche Alterungsprozess im Vergleich zum weiblichen weniger mit dem Verlust von Attraktivität in Verbindung gebracht wird.
Da leuchtet etwa auf der Infoscreen in einem Münchner S-Bahnhof folgende Schlagzeile auf: »Knochenbrüchigkeit steht Frauen mittleren Alters ins Gesicht geschrieben.« Darüber das Foto einer scheu in die Kamera lächelnden Lady mit markanten Linien um Mund und Augen.
Hilfe! Wir Midlife-Frauen sind gebrandmarkt! Eine US-amerikanische Studie, die 2011 an Frauen in den Wechseljahren durchgeführt wurde, hat ergeben, dass sich an Faltenmenge und -tiefe im Gesicht und am Hals Hinweise auf die Knochendichte ablesen lassen: je tiefer die Falte, desto größer die Neigung zu Osteoporose.
Aber wer fragt eigentlich nach Falten (vielleicht an anderen Körperteilen) und Knochenbrüchigkeit der Männer mittleren Alters? Und wer prangert diese auch noch öffentlich an? Bis in die 1990er Jahre hielt man Osteoporose für eine reine Frauenkrankheit und hatte bei Männern noch nicht einmal Messungen der Knochendichte vorgenommen. Inzwischen weiß man längst, dass auch Midlife-Männer gefährdet sind, an Osteoporose zu erkranken. Statistisch gesehen trifft es jeden fünften Mann und jede dritte Frau über 50. Doch werden weiterhin vor allem Studien an Frauen publiziert, und das Osteoporose-Risiko der Männer ist bis heute noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen.
Dumm für die Männer, deren Leiden oft unerkannt bleibt oder zu spät behandelt wird. Zugleich erleichtert man es Midlife-Männern durch solche »Vernachlässigung« ihrer Schwächen zu verdrängen, dass auch sie nicht ungeschoren davonkommen. Das mag fürs Selbstwertgefühl gut sein, der Selbsterkenntnis aber ist es nicht zuträglich.
Ähnlich verhält es sich mit der vermeintlich alterslosen Zeugungskraft der Männer. Während die hormonellen Umbauprozesse bei Frauen stereotyp als »schwerwiegend«, »dramatisch« und »abrupt« beschrieben werden, heißt es über die der Männer, sie vollzögen sich »fast unmerklich« und »schleichend« und wären vor allem »weniger einschneidend«. Schließlich können Männer mit 45 und weit darüber hinaus noch Kinder zeugen. Frauen werden in diesem Alter nur noch in Ausnahmefällen schwanger. Und nach der Menopause ist’s mit der weiblichen Fruchtbarkeit dann endgültig vorbei.
Die Vorstellung von »ewiger Jugend« und »Alter«, von »anhaltender Attraktivität« und »nachlassender Anziehungskraft« sind demnach an die Diagnose »noch fruchtbar« beziehungsweise »nicht mehr fruchtbar« gekoppelt.
Was in beide Richtungen falsch ist. Einerseits beginnen Frauen keineswegs schlagartig ab den Wechseljahren, also mit dem Rückgang der Sexualhormone, der schließlich zur Unfruchtbarkeit führt, zu altern. Der Alterungsprozess setzt vielmehr davon unabhängig schon ein (bei beiden Geschlechtern), wenn das Wachstumshormon Somatotropin und die Nebennierenhormone DHEA und DHE-S abnehmen. Somatotropin wird schon nach der Pubertät immer weniger ausgeschüttet, DHEA und DHE-S, die eine aufbauende und psychisch aktivierende Wirkung haben, fangen im blühenden Alter von etwa dreißig Jahren an zu schwinden. Und auch in der Einschätzung der männlichen Zeugungskraft ist die Medizin in den letzten Jahren zu ganz neuen Ergebnissen gelangt.
Die biologische Uhr tickt auch für ihn
Die Illusion von ihrer »ewig jungen Biologie« kann Männer in jüngeren Jahren dazu verleiten, das Kinderzeugen bis in die Lebensmitte oder darüber hinaus aufzuschieben. Oder dazu, es später, in einer zweiten oder gar dritten Runde mit neuen (jungen) Frauen zu wiederholen und in fortgeschrittenem Alter nochmals Vater zu werden.
Martin zum Beispiel hat sich gerade, mit Anfang vierzig, von seiner 38-jährigen Freundin getrennt, weil sie dringend Kinder will und er dafür, zumindest anfangs, die finanzielle Verantwortung übernehmen soll. Martin kann und will ihr das nicht garantieren, weil seine Solo-Karriere als Musiker noch nicht auf einem soliden Fundament steht. Und zu einem Kompromiss, etwa als Musiklehrer zu arbeiten, um regelmäßig Geld zu verdienen, ist er nicht bereit.
»Sie hat Torschlusspanik«, erzählt er, »verständlicherweise, denn sie ist schon Ende dreißig. Aber ich bin noch nicht so weit. Ich fühle mich in erster Linie meiner Begabung verpflichtet und werde meine Karriere als Künstler nicht
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