Wo die Liebe beginnt
skeptisch drein, wie ich mich fühle, aber keine von uns spricht aus, was ich denke: Er wird sich eben nicht wieder beruhigen, keine Chance! Er hasst sie und logischerweise dann auch mich. Es ist nicht seine Schuld, sage ich mir immer wieder. Für einen Vater ist es nicht leicht, mit einem Kind konfrontiert zu werden, das er noch nie getroffen hat, selbst wenn er von dessen Existenz gewusst hat. Aber das, was wir mit ihm gemacht haben, kann man nur als einen emotionalen Hinterhalt bezeichnen.
Mir ist bewusst, dass Marian an allem schuld ist, und doch tut sie mir leid. Es geht ihr nicht gut, das kann ich sehen. AuÃerdem muss ich ihr zugutehalten, dass sie den Mut hatte, mich zu begleiten. Sie hätte ihm ja auch einen Brief schreiben können (was im Rückblick vielleicht der bessere Weg gewesen wäre). Sie hätte mich vor seinem Haus absetzen und sich hinter der nächsten Ecke verstecken können (was vermutlich immer noch schlauer gewesen wäre). Sie hätte die Nachricht arrogant oder gleichgültig überbringen können. Dieses Herumgestotter und Gestammel hat mir immerhin gezeigt, wie sehr das Ganze sie berührt â und dass sie weiÃ, welchen Blödsinn sie gemacht hat.
Nachdem wir eine halbe Stunde mit ihren Eltern geplaudert haben, vibriert mein Handy â eine SMS . Ich schaue auf das Display, in der Hoffnung, dass Philip mir geschrieben hat. Aber es ist eine unbekannte Nummer mit der Vorwahl 312. Bevor ich mir noch mehr Gedanken mache, öffne ich die Nachricht und lese: »Kirby. Ihr habt mich kalt erwischt. Ich weiÃ, dass es nicht deine Schuld ist. Conrad.«
Ich starre auf die Worte, und mir wird klar, dass Marians Dad recht hatte â absolut recht. Ich spüre eine riesige Erleichterung, und da kommt auch schon eine zweite SMS : »Würde mich gern mit dir unterhalten. Ruf mich an oder komm vorbei, wenn du kannst. Bin im Zeldaâs auf der Rush. Da gibtâs Live-Musik und gutes Essen. Bin den ganzen Abend dort.«
Meine Miene verrät anscheinend alles. Marian schaut mich an und fragt: »Was ist denn?«
»Eine SMS von ihm. Von Conrad.«
»Was schreibt er?«, fragt sie.
Marians Mom spitzt die Lippen und steht auf.
Ich reiche Marian das Handy, und sie liest regungslos die Nachricht. »Möchtest du hingehen?«
»Wo hingehen?«, fragt Marians Mom von der Spüle aus. »Wir haben Pläne fürs Abendessen.«
Marian wirft ihrer Mutter einen strengen Blick zu, der wohl heiÃen soll: Halt dich da raus. Dann sagt sie zu mir: »Mach dir keine Gedanken wegen dem Abendessen. Tu das, wonach dir ist.«
Ich nicke.
»Willst du hingehen?«, fragt sie.
Ich senke den Blick und flüstere: »Ja.«
Denn das will ich wirklich, mehr als alles andere.
»Okay«, erwidert Marian. »Dann fahren wir.«
Was meint sie damit? Will sie mich nur fahren oder mich begleiten?
»Danke«, sage ich vorsichtig. »Könntest du mich vielleicht einfach dort absetzen? Dieses Mal sollte ich alleine gehen.«
»Ja, natürlich.« Sie nickt, als würde sie alles verstehen. Aber ich entdecke ein Flackern von Enttäuschung in ihren Augen, was sie überspielt, indem sie besonders laut sagt, dass das eine hervorragende Idee sei. »Ihr zwei solltet allein miteinander sein. Jetzt, wo Conrad von dir weiÃ, haben er und ich uns nichts mehr zu sagen.«
»Absolut nichts«, mischt ihre Mutter sich ein.
Als es dämmert, setzt Marian mich vor einem unauffälligen roten Backsteingebäude an der Rush Street ab. Nur ein kleines, orangefarbenes Neonschild mit der Aufschrift » Zeldaâs â Live-Musik an 365 Tagen im Jahr « deutet auf eine Kneipe hin.
»Um elf bin ich wieder da«, sagt sie, als ich schon halb ausgestiegen bin. Sie ist nervös. Wegen Conrad, den ich gleich treffen werde, oder weil sie weiÃ, dass meine Eltern austicken würden, wenn sie wüssten, dass ich in eine Bar gehe? »Wenn du früher wieder abgeholt werden willst, brauchst du nur anzurufen.«
Ich nicke. Auf keinen Fall will ich vor elf Uhr wieder gehen, wenn auch nur wegen der coolen Musik, die durch die Tür auf die StraÃe dringt. »Nein, elf ist gut.«
»Und du hast auch Geld, um was zu essen?«
»Ja, hab ich.«
»Und du wirst auch keinen ⦠Alkohol trinken?«
»Nein, Marian.« Ich verdrehe die Augen.
Als sie keine Anstalten macht abzufahren, winke ich ihr auffordernd
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