Wo die Liebe beginnt
zu, überquere den holprigen Bürgersteig und steige die Stufen in das Kellerlokal hinab. Ich ziehe die schwere Metalltür auf und betrete einen groÃen, länglichen Raum, in dem ich mich sofort wohlfühle. Die intime Atmosphäre wird durch die niedrige Decke und die vielen Menschen, die sich im Raum drängen, noch verstärkt. Ãberall flackern dicke Kerzen, und hinter dem alten Eichentresen leuchten Weihnachtslichter.
Es gibt kaum einen freien Platz. Viele Leute stehen an der Bar, andere belegen die seitlichen, podestartigen Flächen, die meisten sitzen an den runden Tischen vor der kleinen Bühne, die sich im rückwärtigen Teil des Raums befindet. Ein junger Typ hat gerade eine ziemlich coole Version von Stevie Ray Vaughans »Tin Pan Alley« gespielt, und jetzt ist die Bühne leer bis auf einen Stutzflügel und ein glitzerndes, weiÃes Schlagzeug. In einer Bühnenecke liegen Gitarrenkästen, Verstärker und anderes Equipment herum. Das Publikum ist ein ziemlich gemischter Haufen. Alle Rassen und Altersklassen sind vertreten, aber die meisten sind älter, ziemlich hippiemäÃig und sehr entspannt â der Hipster-Faktor tendiert hier gegen null. Viele sehen wie Stammgäste aus, und zwar der Musik wegen â und nicht, weil sie flirten wollen, so wie ich es in den Bars zu Hause in St. Louis erlebt habe, als ich mit Belinda mal eine verbotene Kneipentour gemacht habe.
Ich schaue mich im Raum um. Wo ist Conrad? Ich kann ihn nicht entdecken und arbeite mich zur Bar vor, so wie er mir in seiner letzten SMS geraten hat. Hier wollen wir uns treffen. Die Barfrau â mit Bettie-Page-Frisur, muskulösen Armen mit japanischen Tätowierungen und einem unglaublich flachen Bauch, der zwischen einem kurzen Top und einer Hüftjeans hervorblitzt â fragt mich, was ich trinken will. Kurz bin ich versucht, einen Wodka Tonic oder wenigstens ein Bier zu bestellen, denn sie würde mich wahrscheinlich nicht nach meinem Ausweis fragen, aber ich will nichts riskieren und ordere eine Cola. Als ich ihr einen Fünf-Dollar-Schein hinstrecke, sagt sie, dass die Cola aufs Haus geht.
»Du willst den Chef sprechen, stimmtâs?«, fragt sie und reicht mir meine Cola.
»Ãh, ich möchte mit Conrad sprechen.«
»Ja, er ist der Chef.«
»Oh.« Warum hat er Marian denn nicht gesagt, dass es seine Bar ist?
Ein älterer schwarzer Mann, der zwei Hocker entfernt sitzt, nickt der Barfrau zu, und sie erwidert sein Signal. »Noch einen?«
Er nickt, und sie mixt einen Bourbon mit Soda und stellt das Glas vor ihn hin. Dann kommt sie wieder zu mir und deutet zur Bühne. »Conrad ist irgendwo da hinten. Manchmal läuft der Open-Mic-Abend ein bisschen schleppend an, dann muss er den Leuten erst Mut machen. Wenn sich dann doch niemand traut, muss er den ganzen Abend alleine bestreiten.«
»Singt er denn noch?«, frage ich ganz aufgeregt.
»Ob er noch singt?«, lacht sie. »Ja, er singt noch, und auÃerdem spielt er noch Bass und Gitarre und Saxophon und Klavier. Hast du ihn schon mal spielen gehört?«
Ich schüttele den Kopf und würde ihr gerne verraten, dass er mein Vater ist und dass wir uns erst heute kennengelernt haben. Aber da kommt er schon und grüÃt alle paar Meter nach rechts und links. Er wirkt lässig und cool in seiner Jeans (dieselbe wie heute Mittag), dem schwarzen T-Shirt und der John-Deere-Baseballmütze mit ramponiertem Schild. Mein Herz klopft heftig, als er sich neben mich auf den Hocker setzt und mich anschaut. »Schön, dass du gekommen bist«, sagt er ganz entspannt. Die Gereiztheit der ersten Begegnung ist weg.
»Danke für die Einladung«, erwidere ich. Jetzt nimmt eine Frau in lilafarbenem Kleid und schwarzen Lacklederschuhen Platz am Klavier und spielt eine gänsehauterzeugende Version von Joni Mitchells »Both Sides Now«.
Conrad hört ihr einen Augenblick lang zu und nickt der Frau wohlwollend zu. Dann reicht ihm die Barfrau ein Coors-Light-Bier. Er dankt ihr und sagt zu mir: »Steph hast du ja schon kennengelernt?« Er spricht etwas lauter als notwendig. Man kann sich noch gut verständigen, ohne zu brüllen.
»Ja«, antworte ich und sage zu ihr: »Ich bin Kirby.«
Sie nickt und wendet sich an Conrad: »Ich habe ihr gerade erklärt, dass es beim Open-Mic-Abend meistens entweder Tops oder Flops gibt.«
Conrad schüttelt den Kopf. »Nein,
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