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Wo die Liebe beginnt

Wo die Liebe beginnt

Titel: Wo die Liebe beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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zurück und schoben alles auf die Gene. Nur so, betonten sie, könne man den Unterschied zwischen Charlotte und mir erklären. Mit anderen Worten, Sieg der Erbanlagen über die Umwelteinflüsse. Nicht meine Eltern waren an allem schuld, sondern meine leibliche Mutter. Da merkte ich, dass ich selbst ähnlich dachte, und gleichzeitig wurde mir die traurige Ironie bewusst. Obwohl sie mich weggegeben hatte, fühlte ich mich in diesem Moment zum ersten Mal in meinem Leben wirklich abgelehnt, verstoßen, ja, ungeliebt. Und daran waren meine eigenen Eltern schuld.
    Erschüttert kroch ich wieder ins Bett, versteckte das Gesicht zwischen den Laken, ballte die Fäuste und zwang mich, nicht zu weinen. Ich wollte am nächsten Morgen nicht noch schlechter aussehen als ohnehin schon.
    Ich kniff die Augen zusammen und dachte an sie , so wie ich es nachts öfter tat. Viele Gesichter zogen an meinem inneren Auge vorbei, bis ich bei meiner üblichen Vorstellung angekommen war: einer Kreuzung aus Meryl Streep und Laura Linney. Aber dieses Mal war es eine kaputte, zugedröhnte Version der beiden Schauspielerinnen, und meine Fantasien von einer glamourösen, erfolgreichen Mutter verschwanden schnell.
    In diesem Moment beschloss ich, sie zu suchen. Ich würde die Wahrheit herausfinden: wer sie war und warum sie mich weggegeben hatte. In wenigen Monaten würde ich achtzehn werden, und am Morgen meines Geburtstags würde ich die Agentur anrufen und um ihren Namen und ihre Adresse bitten. Bis dahin würde ich Geld sparen für ein Ticket an den Ort, an dem sie wohnte. Ich würde es meinen Eltern schon zeigen. Ich würde es allen zeigen. Was, wusste ich nicht genau, aber das würde ich herausfinden, wenn ich erst dort war.
    Am ersten April dann (ein echter Aprilscherz, dieser Geburtstag) rief ich die Agentur an und schickte ihnen, wie verlangt, ein Fax mit meiner Sozialversicherungsnummer und Unterschrift. Zwei Minuten später hatte ich eine Antwort in meiner E-Mail-Inbox. Mit zitternden Händen klickte ich auf die Mail und las: Marian Caldwell . Eine Adresse in New York City. Ich musste mich unheimlich beherrschen, nicht sofort nach ihr zu googeln, aber ich hatte Angst davor, ich würde sie aus irgendeinem Grund nicht mehr treffen wollen, falls ich sie auf den Bildern nicht mochte. Ich wollte meinen Plan nicht gefährden. Einen Brief schreiben und Monate auf eine Antwort – oder keine Antwort – warten, wollte ich auch nicht. Ich wollte nicht, dass sie bestimmen konnte, wie es läuft – denn sie hatte ja von Anfang an alles bestimmt. Jetzt war ich an der Reihe.
    Direkt nach meinem Geburtstag, vor einem langen Wochenende, half mir Belinda, meinen genialen Plan in die Tat umzusetzen (genial deshalb, weil er so einfach war). Ich fragte meine Eltern einfach, ob ich zusammen mit Belinda und ihrer Mutter zu Belindas Tante nach Mobile fahren durfte (vorher schwindelte ich meinen Eltern vor, die Tante sei früher katholische Missionarin gewesen). Nachdem meine Eltern bei Belindas Mutter angerufen und alles mit ihr besprochen hatten, bekam ich die Erlaubnis. Dann erzählte ich Belindas Mutter, ich wäre krank, und hoffte darauf, dass sie deswegen nicht bei meinen Eltern anrufen würde. Ich hatte Glück, und so kaufte ich mir am nächsten Tag am Busbahnhof an der Fifteenth Street für 275 Dollar eine Fahrkarte nach New York und zurück. Dann stieg ich in einen übel riechenden Greyhound-Bus, in dem anscheinend eine Menge Ex-Knackis saßen, und auch der Fahrer wirkte nicht gerade vertrauenerweckend.
    Während der nächsten vierundzwanzig Stunden fuhr ich durchs halbe Land, hörte Musik auf meinem iPod und dachte über meine Mutter und ihre Geschichte nach. War sie zu arm, zu jung oder zu krank gewesen, um mich zu behalten? Oder hatte sie mich ganz einfach nicht gewollt? Hatte sie ihre Entscheidung je bereut? Hatte sie womöglich eine Krise überwunden und ihr Leben geändert? Wollte sie, dass ich sie fand? Hatte sie je nach mir gesucht? War sie inzwischen verheiratet? Hatte sie noch andere Kinder, die sie behalten hatte und die meine Halbgeschwister waren? Wer war mein Vater (über ihn hatte die Agentur keine Informationen gehabt)? Hatte ich meine Loser-Gene von ihr, von ihm, oder von beiden? Waren sie noch immer zusammen und zogen gemeinsam meine Geschwister auf? Würde mir ein Treffen mit ihr begreiflich machen, warum ich so war, wie ich war? Oder

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