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Wo die Liebe beginnt

Wo die Liebe beginnt

Titel: Wo die Liebe beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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erkenne ich mich darin. Diese Nase, dieses Kinn … Dann sage ich mir, dass das bloß Wunschdenken ist. Sie ist viel hübscher als ich.
    Ich schaue auf ihre nackten Füße, anmutig und schmal, die Zehen mit pflaumenfarbenem Nagellack bemalt. Ganz anders als die groben, mit Schwielen überzogenen Füße meiner Mutter mit ihren unförmigen Zehen. Ich blicke wieder in ihr Gesicht und in ihre Augen, und da wird mir klar, dass sie ein freundlicher Mensch ist. Zumindest kommt sie nicht unfreundlich rüber. Sie ist vermutlich schlau und fleißig, denn dumme und faule Menschen schaffen es nicht bis ins Penthouse. Andererseits könnte sie auch aus einer stinkreichen Familie stammen, aber sie wirkt nicht dekadent à la Paris Hilton.
    Â»Hallo«, sagt sie. Ihre Stimme klingt hell und angenehm, und ihr Gesicht drückt Neugier aus. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Ich räuspere mich und frage: »Sind Sie Marian Caldwell?«
    Â»Ja«, entgegnet sie, und einen Moment lang glaube ich, dass sie etwas ahnt. Aber dann entdecke ich eine Spur von Ungeduld in ihrer Miene. Das Baby, das sie vor achtzehn Jahren geboren hat, ist ganz weit weg für sie.
    Ich schaue auf meine Schuhe, atme tief durch und versuche, deutlich zu sprechen. »Ich heiße Kirby Rose.«
    Keine Reaktion, ganz klar. Sie kennt meinen Namen nicht. Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter die Ohren und zwinge mich, ihr wieder in die Augen zu sehen. Irgendetwas passiert gerade in ihrem Gesicht.
    Und dann fragt sie: »Bist du …«
    Mein Herz schlägt schneller. Ich nicke und konzentriere mich darauf, nicht in Ohnmacht zu fallen. Dann sage ich die Worte, die ich im Kopf tausendmal geübt habe. »Ich glaube, Sie sind meine Mutter.«
    Ihr Lächeln verblasst, und alle Farbe weicht ihr aus dem ohnehin schon hellen Teint. Sie starrt mich an. Anscheinend hat sie noch mehr Angst als ich. Sie ist wie gelähmt. Nach einer gefühlten Ewigkeit berührt sie mich am Arm und sagt: »Meine Güte. Du bist es …«
    Ich lächele, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich kann nicht sprechen und fange bestimmt gleich an zu weinen. Aber keine Träne kommt. Es fühlt sich an wie ein fantastischer Sieg.
    Â»Komm doch rein«, fordert sie mich auf und geht einen Schritt zurück, um mir Platz zu machen.
    Ich gehe auf sie zu und sage: »Tut mir leid, dass ich dich einfach so überfalle. Ich kann auch ein anderes Mal wiederkommen.«
    Â»Nein, bleib. Bitte bleib.«
    Ich nicke und bin überzeugt davon, dass sie es ehrlich meint. Dass sie wenigstens ein bisschen froh ist, mich zu sehen.

4 – Marian
    So etwas Verrücktes, Verstörendes und geradezu Unwirkliches habe ich noch nicht erlebt. Trotzdem kann ich mir nicht erklären, warum ich so geschockt bin. Ich wusste doch im Grunde die ganze Zeit, dass es passieren konnte, und mir war auch genau bewusst, dass sie am Ersten des Monats achtzehn geworden ist. Der große Tag, an dem sie nur bei der Agentur anrufen musste, um meine Daten zu bekommen. Alle paar Jahre habe ich meine aktuelle Adresse angegeben, schon aus Prinzip. Juristisch bin ich dazu nicht verpflichtet gewesen, ich hätte mich auch entscheiden können, anonym zu bleiben. Ich weiß nicht genau, warum ich es so gemacht habe. Vielleicht, um meine Schuldgefühle beiseitezuschieben. Vielleicht wollte ich mich auch davon überzeugen können, dass sie es gut getroffen hat, dass sie nicht in einer kaputten, asozialen, verarmten Familie gelandet ist. Aber tief im Inneren wollte ich vielleicht auch, dass sie zu mir zurückfindet. Dass ich sie sehen und anfassen kann.
    Aber unabhängig davon, warum ich mich so entschieden oder was ich mir davon versprochen habe, habe ich es für sehr unwahrscheinlich gehalten, dass sie Kontakt zu mir suchen würde, wenigstens nicht, bevor sie selbst Kinder hat. Und ich habe mir ganz sicher nicht vorgestellt, dass sie aus heiterem Himmel abends um elf auftaucht, in einer Stadt, in der man Spontanbesuche nicht kennt, auch nicht unter engen Freunden. Und nachdem ich mich gerade mit meinem Freund gestritten habe. Aber das alles zählt jetzt nicht. Weil sie gerade in diesem Moment vor mir steht und darauf wartet, dass ich etwas sage.
    Ãœberwältigt von meinen Gefühlen bitte ich sie herein, hänge ihre Jacke an die Garderobe und schiebe ihren schweren Rucksack unter den Polsterhocker im Eingangsbereich. Dann entsteht eine

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