Wo die Liebe beginnt
mitten auf der Fifth Avenue. Während ich das Museum betrachte, springt Marian wieder in ihre Rolle als Touristenführerin und doziert darüber, dass es Frank Lloyd Wrights letztes groÃes Werk war und sehr umstritten, als es 1959 eröffnet wurde. Der Architekt arbeitete fünfzehn Jahre daran und fertigte rund siebenhundert Skizzen an, erzählt sie und lacht dann. »Er sagte, dass das Met dagegen aussieht wie eine Bauernscheune. Was meinst du?«
»Mir gefälltâs«, sage ich, während ich mich sowohl nervös als auch gereizt fühle. Habe ich ihr jetzt die richtige Antwort gegeben? »Sieht ziemlich cool aus.«
»Ich liebe es«, schwärmt sie. »Also, das Met ist das Met, aber das Guggenheim ist einer meiner Lieblingsorte in der ganzen Stadt. Möchtest du reingehen?«
Etwas unmotiviert nicke ich und folge ihr in die kühle, dunkle Eingangshalle. Sie läuft zum Kartenschalter, und ich gehe in die Mitte des Raums und schaue nach oben, durch die offenen, spiralförmigen Etagen zur Decke hinauf. Genau wie das ÃuÃere ist das Innere des Gebäudes total ungewöhnlich, so was habe ich noch nie gesehen. Den vielen Touristen, die sich den Hals verrenken und Fotos schieÃen, geht es anscheinend genauso. Ich mache ein Bild mit dem Handy und schicke es an Belinda, zusammen mit einer SMS (meiner vierten, seit ich in New York bin): Sind im Guggenheim. Sie ist krass drauf. Später mehr.
Dabei fällt mir auf, dass ich den Besuch in New York positiver darstelle, als er ist. Was will ich damit beweisen?, frage ich mich, besonders als Belinda zurückschreibt: OMG , cool! Mach Foto von ihr!
Ich lasse das Handy zurück in meine Tasche gleiten. Auf keinen Fall mache ich ein Foto von ihr. Langsam gehen wir die spiralförmige Rampe hoch, immer begleitet von Marians leisem, kundigem Kommentar. Sie erzählt, dass in den Anfangstagen des Museums nicht nur Architekturkritiker protestiert hätten, sondern auch Künstler, die sich darum sorgten, dass ihre Werke vor den runden Wänden nicht zur Geltung kommen würden. Genau wie vorhin mit der Zeitung kann ich mich nicht komplett auf ihre Ausführungen oder die Kunst konzentrieren. Ich lausche einfach nur ihrer Stimme und beobachte ihr Gesicht, während sie mir ihre Lieblingsbilder von Chagall und Picasso zeigt.
Als wir ganz oben angekommen sind und es nicht mehr weitergeht, erklärt sie: »WeiÃt du, das ist wirklich verrückt.«
»Was denn?« Hoffentlich sagt sie jetzt endlich mal was Wichtiges.
Sie schaut erst mich an, dann runter in die Eingangshalle. »Hier habe ich gestanden. Genau hier. Und an dich gedacht. Wo du wohl bist, und ob es dir gut geht.«
Gegen meinen Willen macht sich ein warmes Gefühl in mir breit, aber ich zeige ihr nicht, dass mich ihre Worte berührt haben. Stattdessen schaue ich nach unten und lasse das nackte Weià auf mich wirken. »Na, jetzt weiÃt duâs.«
»Ja, jetzt weià ichâs.«
Es ist wärmer geworden und die StraÃen haben sich gefüllt, als wir aus dem Museum kommen. Ich ziehe meine Fleecejacke aus und binde sie mir um die Hüfte, und wir gehen die Fifth Avenue wieder zurück und lassen uns auf den Stufen des Met nieder, wo wir eine Weile die Leute beobachten. Dann suchen wir Zuflucht im Schatten des Central Park, bis wir beim Plaza Hotel rauskommen, wo die kleine Eloise aus dem Kinderbuch wohnte. Beim Kaufhaus FAO Schwarz überqueren wir die StraÃe und nehmen die Madison Avenue Richtung Barneys, genau wie Peter vorhergesagt hat.
»Shoppst du gerne?«, will sie von mir wissen.
»Schon«, antworte ich, obwohl ich es hasse. Erstens steht mir wirklich gar nichts â das heiÃt, an mir sieht alles aus wie an einem zehnjährigen Mädchen. Oder Jungen. AuÃerdem haben wir nicht das Geld, um shoppen zu gehen, darum ist das immer eine frustrierende Geschichte. Und mein Taschengeld gebe ich lieber bei iTunes oder für Noten und Konzertkarten aus als für Klamotten. Aber ich weiÃ, dass sie das nicht hören will, darum nicke ich brav und lächele, als wollte ich sagen: Welches Mädchen geht nicht gern shoppen?
Marian strahlt, und wir betreten den Laden, gehen an den Sicherheitsleuten und dem Concierge vorbei. Da ist schon der erste Ständer mit plastikartig wirkenden Handtaschen mit einem Logo, das ich nicht kenne. Und ein paar Glaskästen mit Schmuck. Mir wird klar, dass Marian
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