Wo die Liebe beginnt
muss Aidan bei seiner Mutter abholen.«
Da begreife ich, dass er geschieden ist. Er schaut mich an und erklärt: »Mein Sohn. Wenn du länger bleibst, lernst du ihn vielleicht kennen. Er ist ungefähr in deinem Alter. Fünfzehn. Wie alt bist du noch mal?«
»Achtzehn«, sage ich. »Ich sehe nur jünger aus.«
»Das wirst du eines Tages zu schätzen wissen«, wirft Marian ein.
Ich sehe, wie Peter sich zu Marian rüberbeugt und sie auf den Mund küsst, ohne dass die beiden sich sonst an irgendeiner Stelle berühren. Dann geht er zur Tür. Ich setze mich wieder aufs Sofa, und er dreht sich noch einmal um und wirft ihr einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Vielleicht soll er ihr seelische Unterstützung vermitteln, vielleicht auch Mitgefühl. Wie auch immer, ich schaue schnell genug zu Marian, sodass ich gerade noch mitkriege, wie ihre Lippen das Wort »Danke« formen.
Ich schaue weg und frage mich, wofür sie ihm dankt und ob das irgendwas mit mir zu tun hat.
Eine Viertelstunde später betreten Marian und ich das Caffe Grazie, ein Restaurant in einem zweistöckigen Haus ganz in der Nähe von Marians Wohnung, in dem es angenehm lebhaft zugeht. Die Kellnerin lächelt Marian wie einen Stammgast an und führt uns zu einem Platz im hinteren Teil des Raums. Marian schiebt als Erstes die Speisekarte von sich und erklärt mir, jetzt gebe es nur eins.
»Arme Ritter?«, vermute ich, weil ich mich an Peters Worte erinnere.
»Richtig geraten«, sagt sie, als die Kellnerin mit zwei Gläsern und Marians Kaffee ankommt.
»Möchtest du Wasser, Liebes?«, fragt die Kellnerin und hält die Karaffe hoch.
Erst lehne ich dankend ab, sehe dann aber auf der Karte, dass ein Orangensaft sechs Dollar kostet und murmele schlieÃlich ein Ja.
»Wir nehmen beide die Armen Ritter mit Schokocroissant«, bestimmt Marian.
Die Kellnerin nickt und eilt davon. Marian schaut mich an und fragt: »Und? Möchtest du heute etwas Bestimmtes unternehmen?«
Ich schüttele den Kopf. Ich würde ja gerne anmerken, dass ich nicht hergekommen bin, um die Freiheitsstatue oder das Empire State Building zu besichtigen. Und wenn wir schon den Touri-Kram machen müssen, um eine richtige Unterhaltung zu vermeiden, dann lieber die Carnegie Hall oder die Philharmonie in Brooklyn oder das Jazz Museum in Harlem. Oder die Musikgeschäfte, die ich im Internet gefunden habe, abklappern. Zum Beispiel Drummers World, die haben alles von Epstein-Kastagnetten aus Palisanderholz und schwarzem Grenadill über Milt-Jackson-Jazzmallets von Albright bis hin zu einem original Rogers-Drumkit aus den Siebzigern mit einer Vierzehn-Zoll-Dynasonic-Snaredrum. Natürlich kann ich mir nichts davon leisten, aber es wäre so cool, die Sachen mal live zu sehen und zu testen. Drums von Rogers klingen voller und wärmer als die meisten anderen, die oft nur laut und aggressiv sind. Es sind einfach die besten verdammten Drums auf dem Planeten, nicht nur, weil sie besser klingen, sondern auch schöner aussehen. Aber ich sage nichts â hauptsächlich, weil ich spüre, dass sie so etwas nicht interessiert.
Also zucke ich bloà mit den Schultern und sage: »Mir egal. Ich richte mich ganz nach dir.«
»Okay, mal sehen â¦Â«, sinniert sie, und ich starre auf ihre riesigen Diamantohrringe. »Wann musst du wieder in der Schule sein?«
Ich weiÃ, worauf sie hinauswill â wann haue ich wieder ab? Darum sage ich: »Am Mittwoch. Aber ⦠ich kann auch vorher wieder fahren. Wie du willst. Also, ich kann jederzeit fahren. Musst du nur sagen.«
»Das können wir ja spontan entscheiden. Aber bleib doch wenigstens bis morgen«, sagt sie etwas zu fröhlich.
Also nicht bis übermorgen , denke ich und murmele ein »Danke«.
Sie will etwas sagen, bremst sich aber und klopft stattdessen auf die Zeitung unter ihrem Arm. »Liest du die Sunday Times ?«
Ich verneine, aber damit sie nicht denkt, ich wäre so ein gleichgültiger, ahnungsloser Teenager, füge ich hinzu: »Aber ich lese Zeitung. Wir kriegen die St. Louis Post-Dispatch .«
Das heiÃt, ich bin schon gleichgültig, aber nur, was mein eigenes Leben angeht, nicht die Welt an sich. Ich verfolge, was so passiert, anders als die meisten anderen in meinem Alter, die ich kenne.
Sie lächelt und fragt: »Möchtest du einen Teil?«
Ich erwidere, ich hätte gern den
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