Wo die Liebe beginnt
den Laden in- und auswendig kennt, so wie sie von einer Ecke zur anderen rennt und mir ihre Lieblingsdesigner zeigt: Jamie Wolf, Irene Neuwirth, Mark Davis. Bla, bla, bla.
Ich nicke und frage mich, ob die Sachen wirklich ein paar Hundert oder Tausend Dollar wert sind. Na ja, wenn man sich nichts davon leisten kann, ist das auch egal. Nachdem wir uns alle Auslagen angeschaut haben, gehen wir in den hinteren Teil des Raums, vorbei an Handtaschen mit exotischen Namen, die ich nicht aussprechen kann. Balenciaga, Nina Ricci, Givenchy. Marian bleibt kurz stehen und nimmt eine groÃe, graue Givenchy-Tasche von einem Ständer, hängt sie sich um und betrachtet sich in einer verspiegelten Säule.
»Gefällt dir die?«, fragt sie und studiert ihr Spiegelbild. Jetzt runzelt sie die Stirn. »Oder meinst du, die ist zu gro�«
Ich gehe auf sie ein und erwidere: »Hm, ja ⦠vielleicht ein bisschen zu gro�«
Sie stimmt mir zu, hängt die Tasche wieder zurück und führt mich zu den Rolltreppen. Wir fahren einige Stockwerke nach oben, in eine Etage mit kunstvoll arrangierten Kleidern, zwischen denen riesige, ungenutzte Flächen liegen. Marian arbeitet sich durch Ständer mit Kleidern und Hosen und Tops und blickt dabei nur selten auf die Preisschilder, als wären die nicht weiter wichtig. Dann steht plötzlich eine unglaublich schicke Frau mit langem, stufig geschnittenem Haar vor uns, die Marian umarmt und mit osteuropäischem Akzent flötet: »Ich wollte dich gerade anrufen. Wir haben ein umwerfendes Kleid von Giambattista Valli reinbekommen, das musst du anprobieren. Smaragdgrün. Atemberaubend. Es ist dir wie auf den Leib geschneidert. Und ich habe einen Cardigan von LâWren Scott in einem etwas dezenteren Pink als den magentafarbenen, den du neulich anprobiert hast. Hast du ein bisschen Zeit? Meine Ein-Uhr-Kundin hat gerade abgesagt, ich wäre also frei.« Zum zweiten Mal schaut sie neugierig zu mir her. Marian zögert, unsicher stellt sie mich ihr vor. »Ach, entschuldige, Agnes, das ist Kirby.« Wieder eine lange, unangenehme Pause, dann erklärt sie: »Kirby ist zu Besuch aus St. Louis.«
Mehr hat sie nicht zu sagen über mich? Aber sie redet schon weiter: »Agnes ist meine Beraterin in Sachen Stil.«
Agnes lacht. »Glaub ihr kein Wort. Marian ist schon mit Stil auf die Welt gekommen.« Dann mustert sie mich. »Du hast eine tolle Figur. Trägst du auch Röcke?«
»Nur bei meiner Schuluniform. Sonst eigentlich nur Jeans.«
Agnes versichert mir, ich hätte den richtigen Ort für Denim-Artikel gefunden. Liebend gerne würde sie ihre Assistentin nach unten schicken und sie ein paar Modelle für mich raussuchen lassen. »Möchtest du etwas anprobieren?«
»Aber klar«, antwortet Marian für mich, und bevor ich protestieren kann, bin ich in einer Umkleidekabine gelandet. Neben mir liegen ein Haufen Jeans, auÃerdem ein Dutzend oder noch mehr raffinierte, mit Glitzersteinchen besetzte Tops. Als ich ein Paar abgefahrene J-Brand-Jeans und Pradaschuhe mit Keilabsatz anhabe (womit ich die Königin meiner Schule wäre), halte ich die Kamera in den Spiegel und schicke das Bild an Belinda: Sind bei Barneys. Voll Gossip Girl. Dann mache ich noch Nahaufnahmen von den Schuhen und dem Preisschild auf dem Karton: 450 Dollar, der helle Wahnsinn!
Innerhalb weniger Sekunden vibriert mein Handy und zeigt Belindas Antwort an: OMG ! Glückspilz!
Ich will gerade zurückschreiben, da höre ich Agnes Marian fragen, woher sie mich kennt.
Ich erstarre und strecke den Kopf Richtung Tür, um besser lauschen zu können. Hoffentlich sagt sie Agnes die Wahrheit â und hoffentlich mit Stolz in der Stimme. Aber sie erwidert nur leise: »Ach, das ist eine längere Geschichte.«
Enttäuscht betrachte ich mein Spiegelbild und beobachte, wie mein Lächeln verblasst. Na ja, die Sache geht auch nicht Hinz und Kunz und Agnes etwas an. Ich bin wohl einfach überempfindlich, vermutlich, weil ich gerade Kleider und Schuhe anprobiere, die sich niemand von meinen Verwandten oder Freunden jemals leisten könnte.
Plötzlich ruft Marian: »Na, wie siehtâs aus? Zeigst du dich mal?«
»Okay«, sage ich und komme raus. Etwas unsicher stehe ich da in meinem Outfit: schwarzes Tanktop, Röhrenjeans und Keilschuhe, deren Absätze mich wenigstens annähernd auf Augenhöhe mit durchschnittlich
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