Wo die Liebe beginnt
Schlafzimmertür aufgeht. Nervös klappe ich das Buch zu und hätte mich am liebsten unsichtbar gemacht. Nicht ganz einfach, wenn man in einem sonnendurchfluteten Zimmer auf einem weiÃen Sofa sitzt. Ich schaue zur Tür, und sie kommt raus. Sie trägt eine graue Jogginghose, hat die Haare hochgesteckt und eine Brille mit braunem Horngestell auf der Nase. Das erklärt also meine Kurzsichtigkeit.
»Na, du bist ja eine Frühaufsteherin«, sagt sie, als sie mich entdeckt. Ihre Stimme ist hoch, überfreundlich, falsch.
Ich zwinge mich, auch ein Lächeln aufzusetzen, aber es verblasst, als ich sehe, dass hinter ihr ein Mann auftaucht. Wann hat der sich denn reingeschlichen? Noch in der Nacht oder erst heute Morgen? Unsicher verschränke ich die Arme vor der Brust und zeige ihm damit, dass mich seine Anwesenheit stört â und Marian, dass ich es ihr übelnehme, weil sie sich Verstärkung besorgt hat. Als er näher kommt, erkenne ich, dass er älter ist als sie â vielleicht sogar zehn Jahre â, aber er wirkt elegant und irgendwie imponierend. An dem unsicheren Blick, den sie ihm zuwirft (er nickt ihr daraufhin auffordernd zu), sehe ich, dass ihr seine Meinung wichtig ist â seine Meinung zu der ganzen Situation. Kurz denke ich darüber nach, ob er mein leiblicher Vater sein könnte. Ich habe schon Geschichten über Paare gehört, die ihr erstes Kind weggegeben und später doch geheiratet haben. Aber es ist viel wahrscheinlicher, dass mein leiblicher Vater ganz anders ist als dieser Mann.
»Kirby, das ist Peter. Peter â Kirby.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Kirby«, sagt Peter mit selbstbewusst sonorer Fernsehstimme. Mit perfektem Lächeln und genauso perfekter Haltung geht er auf mich zu und streckt mir die Hand hin. Seine goldene Uhr glänzt in der Sonne. Unsicher nehme ich seine Hand. Er drückt ziemlich kräftig zu. Will er mir damit irgendwas sagen? Egal, ich beschlieÃe, dass ich ihn nicht mag â zumindest mag ich diesen Typ Mann nicht.
»Hallo«, murmele ich und blicke erwartungsvoll zu Marian hin. Aber sie sagt nichts, und wir stehen verlegen im Dreieck herum. SchlieÃlich stellt Peter mir eine Frage, um die Stille zu brechen: »Du bist also gestern angekommen, habe ich gehört?«
Ich nicke, verschränke wieder die Arme und bejahe. Meine Stimme ist leise, das genaue Gegenteil von seiner. Weià er wirklich, wer ich bin? Hat sie ihm gesagt, dass sie glücklich über mein plötzliches Auftauchen ist? Oder durcheinander? Verärgert? Erstaunt? In Sorge darüber, dass ich vielleicht bei ihr einziehen und ihr perfektes Leben auf den Kopf stellen werde? Vielleicht hat er sie vor mir gewarnt. Ihr erklärt, dass sie zwar mit mir verwandt sei, aber ansonsten nichts über mich wisse. Ich könnte sie ja bestehlen wollen oder mich nachts in ihr Zimmer schleichen und sie überfallen. Hat sie ihn angerufen, weil sie Angst bekommen hat? Ist er deswegen hier? Um sie vor mir zu beschützen?
Wenn er mir misstraut, verbirgt er es geschickt (so was kann er vermutlich gut). Fröhlich dröhnt er: »Fein, fein. Was wollt ihr Mädels heute denn Schönes unternehmen?«
Marian zuckt mit den Schultern und erwidert: »Ach, ich weià nicht. Vielleicht eine kleine Tour durch die Upper East Side. Bisschen rumlaufen, damit Kirby die Gegend kennenlernt.«
»In den Park? Ins Guggenheim? Arme Ritter essen im Caffe Grazie?«, schlägt er vor.
Marian sagt: »Ja, warum nicht. Und vielleicht auch ein bisschen Shopping. Wenn Kirby Lust darauf hat.«
Ich nicke und ringe mir ein Lächeln ab. Sie kann doch nicht ernsthaft mit mir shoppen gehen wollen. Ich habe nicht nur null Bock darauf, sondern kriege direkt Beklemmungen, wenn ich daran denke. Ich bin so unsicher wie jemand, der im Restaurant nicht weiÃ, welche Gabel er benutzen muss.
»Ach ja, Barneys. Wie konnte ich das nur vergessen?«, seufzt er gespielt. Er zwinkert mir zu. »Du musst aufpassen, Marian vergisst in dem Laden immer, wo der Ausgang ist.«
Marian verdreht die Augen und sagt ihm, er solle still sein, aber er scherzt weiter und erzählt, wie er sie einmal aus dem Innern dieses Labyrinths retten musste. Das Ganze ist ziemlich hollywoodmäÃig, oder auch ziemlich manhattanmäÃig. Auf jeden Fall seltsam.
Er lacht noch ein bisschen, reibt sich dann die Hände und sagt: »Okay. Ich bin dann weg. Ich
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