Wo die Liebe beginnt
ist wohl immer so, wenn man hinter ein groÃes Geheimnis kommt. Ich begreife, wie Peter sich vorgekommen sein muss, kann mir aber noch immer nicht vorstellen, wie Conrad reagieren würde, wenn er es je erfährt.
»Und bist du auch seiner Meinung?«, frage ich. »Glaubst du, ich hätte diese Entscheidung je bereut?«
»Ganz ehrlich, das weià ich nicht.« Jetzt weint sie fast. »An dem Tag in der Klinik wollte ich, dass alles so schnell wie möglich vorbei ist, damit du einfach normal weiterleben konntest. Aber ich habe deine Entscheidung respektiert. Genau wie ich deine Entscheidung respektiert habe, sie wegzugeben.«
»Und Dad? Wie stand er zu der Adoption?«
Sie seufzt. »Dein Vater wollte sie behalten. Er dachte, du könntest auf die Northwestern oder ein anderes College in der Nähe gehen. Er hatte auch die Idee, dass wir für ein paar Jahre nach Ann Arbor ziehen, damit wir dir beim Aufziehen deiner Tochter helfen können. Er hat sogar vorgeschlagen, dass wir es für dich tun. Dass wir sie selbst aufziehen, wie eine eigene Tochter.«
»So viel zum Thema Geheimnisse«, sage ich.
»Ich weiÃ.« Sie nickt. »Aber das schien ihm damals die beste Lösung zu sein. Wir hatten danach eine ziemliche Krise. Wegen der Entscheidung und weil ich nicht zugelassen habe, dass er mit dir darüber spricht. Er war wirklich wütend auf mich. Und ich glaube, es hat auch sein Verhältnis zu dir beinträchtigt.«
»Wie denn das?«, frage ich, obwohl ich die ganze Zeit über ein ähnliches Gefühl hatte.
»Ihr beiden seid euch so nah gewesen. Du warst immer Daddys kleines Mädchen. Aber seitdem steht etwas zwischen euch. Ihr geht irgendwie so gezwungen miteinander um.«
Ich nicke und denke an die Zeit vor Kirby, als wir uns so nahestanden, wie das zwischen Vater und Tochter nur möglich ist. »Die halten zusammen wie Pech und Schwefel«, sagte meine GroÃmutter immer.
Aber nach diesem Sommer war plötzlich alles anders. Damals sagte ich mir, es sei Teil des Erwachsenwerdens. Ich ging aufs College und führte mein eigenes Leben. Und ich redete mir ein, wir wären uns immer noch nah, nur auf andere Art. Jetzt erkenne ich, dass das einfach ein Teil meiner Lüge war. Ich habe den Kontakt zu ihm vermieden, und er hat dasselbe getan. Selbst wenn wir allein miteinander waren, redeten wir nie über wichtige Sachen wie Heiraten und Kinderkriegen, Leben und Tod. Wir blieben immer nur an der Oberfläche, weil unsere Geheimnisse zwischen uns standen.
Ich sehe meine Mutter an. Wäre alles anders gelaufen, wenn sie mein Geheimnis bewahrt hätte? Vielleicht käme ja alles wieder in Ordnung, wenn mein Vater und Kirby sich kennenlernten. Aber kann man wirklich zu einem bestimmten Punkt im Leben zurückkehren?
19 â Kirby
Es ist Sonntagmorgen, mein Lieblingsvormittag, seit meine Mom es aufgegeben hat, mich in die Messe zu treiben. Total konzentriert spiele ich Schlagzeug â unsere Nachbarn zu beiden Seiten sind nämlich in der Kirche. Ich arbeite mein Repertoire an klassischen Schlagzeugsolos ab: Zuerst Led Zeppelins »Moby Dick« (John Bonhams Solo ist eins der besten aller Zeiten) und »One World« von The Police (Stewart Copeland übertrifft sich da selbst), danach ein bisschen Gina Schock (ich habe ein altes Poster der Go-Goâs über dem Bett hängen), Sheila E. (die zwar nicht viele eigene Sachen gemacht hat, aber mit den ganz GroÃen zusammengespielt hat wie Prince, Ringo Starr und Marvin Gaye) und sogar Karen Carpenter (vermutlich die einzige Musikerin auf meinem iPod, von der meine Eltern schon mal gehört haben).
Meine Gedanken kreisen aber auch um das Date am Abend zuvor. Die besten Momente ziehen wie ein Musikvideo durch meinen Kopf. Nach dem Film hatten wir nur noch Zeit für einen schnellen Burger im Blueberry Hill, weil ich leider schon nach Hause musste. Aber ich habe trotzdem gemerkt, dass Philip mich mag. Zumindest auf freundschaftliche Art, und vielleicht ist da ja auch noch mehr. Er hat nicht viel dazu gesagt, aber ich habe es daran gemerkt, wie er mich angeguckt hat. Belinda hat es »sein riesiges, dämliches Lächeln« genannt, als wir auf dem Klo waren und Lagebesprechung gehalten haben. Ich habe gegen das Wort »dämlich« protestiert, aber Belinda darin recht gegeben, dass es ein hundertprozentiges, ehrliches Lächeln war.
Ich setze die Kopfhörer ab,
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