Wo die Nacht beginnt
strahlend, feurig im Herzen und unzerstörbar.«
»Oh, ich bin durchaus zerstörbar«, widersprach ich melancholisch. »Schließlich kann man einen Diamanten zersprengen, indem man mit einem gewöhnlichen Hammer daraufschlägt.«
»Ich habe die Narben gesehen, die Matthew dir zugefügt hat. Ich nehme an, es gibt noch weitere, weniger sichtbare. Falls du damals nicht in Stücke zersprungen bist, wird es auch jetzt nicht geschehen.« Philippe kam hinter dem Tisch hervor. Er küsste mich zärtlich auf jede Wange, und mir stiegen die Tränen in die Augen.
»Ich sollte gehen. Wir machen uns morgen in aller Frühe auf den Weg.« Ich drehte mich weg, wirbelte dann herum und schlang die Arme um Philippes breite Schultern. Wie konnte man so einen Mann je brechen?
»Was ist denn?«, fragte Philippe überrascht.
»Auch du wirst nicht alleine sein, Philippe«, flüsterte ich energisch. »Ich werde einen Weg finden, dir in der Dunkelheit beizustehen, das verspreche ich dir. Und wenn du glaubst, dass dich die ganze Welt verlassen hat, dann werde ich da sein und deine Hand halten.«
»Wie könnte es anders sein«, meinte Philippe gütig, »wo du doch immer in meinem Herzen bist?«
Am nächsten Morgen hatten sich nur ein paar vereinzelte Gestalten im Hof versammelt, um uns zu verabschieden. Der Koch hatte alle möglichen Leckereien für mich in Pierres Satteltaschen verstaut, und Alain hatte die Zwischenräume mit Briefen an Gallowglass, Walter und etliche andere Empfänger ausgestopft. Catrine stand mit rotgeweinten Augen da. Sie hatte uns begleiten wollen, aber das hatte Philippe nicht gestattet.
Philippe war ebenfalls gekommen und schloss mich ein letztes Mal kraftvoll in die Arme. Dann wechselte er ein paar leise Worte mit Matthew. Matthew nickte.
»Ich bin stolz auf dich, Matthaios«, sagte Philippe und legte ihm die Hand auf die Schulter. Als Philippe die Hand wieder wegnahm, bewegte sich Matthew kaum merklich ein Stück auf ihn zu, so als wollte er die Verbindung nicht abreißen lassen.
Dann drehte sich Matthew mit entschlossener Miene zu mir um. Er half mir in den Sattel und schwang sich gleich darauf mühelos auf den Rücken seines Pferdes.
» Khaire, Vater«, rief Matthew mit glänzenden Augen.
» Khairete, Matthaios kai Diana«, erwiderte Philippe.
Für Matthew gab es keinen letzten Blick zurück, kein Aufweichen seiner steifen Haltung. Er hielt den Blick fest auf die Straße gerichtet, der Zukunft entgegen.
Ich selbst drehte mich erst zur Seite, als mir eine flüchtige Bewegung ins Auge fiel. Es war Philippe, der in der Ferne über einen Bergkamm ritt, entschlossen, seinen Sohn erst aus den Augen zu lassen, wenn es nicht anders ging.
»Adieu, Philippe«, flüsterte ich in den Wind und hoffte, dass er mich hörte.
14
Y sabeau? Alles in Ordnung?«
»Natürlich.« Ysabeau bog den Einband eines Buches zurück und schüttelte die Seiten aus.
Emily Mathers sah Ysabeau zweifelnd an. Die Bibliothek war ein einziges Chaos. Im übrigen Schloss war nirgendwo ein Stäubchen zu entdecken, aber dieser Raum sah aus, als wäre ein Tornado hindurchgefegt. Überall lagen Bücher herum. Jemand hatte sie aus den Regalen gezerrt und sie auf allen verfügbaren Flächen verteilt.
»Es muss hier irgendwo sein. Bestimmt hat er gewusst, dass die Kinder zusammen waren.« Ysabeau ließ das Buch fallen und griff nach dem nächsten. Es traf Emily in ihrer Bibliothekarinnenseele, diese alten Werke so misshandelt zu sehen.
»Ich verstehe das nicht. Wonach suchen Sie?« Sie hob das fallen gelassene Buch auf und klappte es behutsam zu.
»Matthew und Diana sind ins Jahr 1590 gereist. Damals war ich nicht hier, sondern in Trier. Philippe hat mit Sicherheit von Matthews neuer Frau erfahren. Und bestimmt hat er mir davon berichtet.« Ysabeaus Haare hingen ihr ins Gesicht und flossen fast bis auf ihre Taille. Ungeduldig nahm sie die Strähnen in die Hände und drehte sie zusammen. Nachdem sie Rücken und Seiten ihres neuesten Opfers untersucht hatte, schlitzte sie mit dem Nagel ihres Zeigefingers das Umschlagpapier auf. Als sie auch dort nicht fündig wurde, knurrte sie frustriert auf.
»Das hier sind Bücher, keine Briefe«, wandte Emily vorsichtig ein. Sie kannte Ysabeau nicht besonders gut, aber Emily waren die grausamen Legenden über Matthews Mutter und ihre Rolle in Trier und an anderen Orten bekannt. Die Matriarchin der Familie de Clermont war keine Hexenfreundin, und im Unterschied zu Diana traute Emily ihr nicht über den
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