Wo die Nacht beginnt
Reisebedingungen für Manjasang , allerdings nicht für Warmblüter«, stellte Philippe ungerührt fest. »Bis Calais stehen Pferde und Herbergen bereit. Ein Boot wartet schon darauf, euch nach Dover überzusetzen. Ich werde Gallowglass und Raleigh eine Nachricht senden, sie mögen alles für eure Rückkehr vorbereiten.«
»Du hast damit gerechnet«, stellte ich fest, tief erschüttert, dass wir abreisen mussten. »Aber ich bin noch nicht so weit. Die Menschen merken immer noch, dass ich anders bin als sie.«
»Du fügst dich besser ein, als du glaubst. Zum Beispiel hast du heute den ganzen Morgen in makellosem Französisch und Latein mit mir geplaudert.« Ich klappte ungläubig den Mund auf. Philippe lachte. »Es stimmt. Ich habe zweimal die Sprache gewechselt, ohne dass du es auch nur gemerkt hättest.« Er wurde ernst. »Soll ich ins Dorf gehen und Matthew über den Stand meiner Vorbereitungen informieren?«
»Nein.« Ich legte die Hand auf seinen Arm. »Das mache ich selbst.«
Matthew saß auf seinem Firstbalken, in jeder Hand einen Brief und mit tief gefurchter Stirn. Als er mich entdeckte, rutschte er an der Dachfläche abwärts und landete grazil wie eine Katze auf dem Boden. Die glücklichen und ausgelassenen Scherze vom Vormittag waren nur noch eine fahle Erinnerung. Matthew zog sein Wams von einer rostigen Fackelhalterung. Sobald er es übergestreift hatte, war der Zimmermann verschwunden und der Prinz zurückgekehrt.
»Agnes Sampson hat sich in dreiundfünfzig Punkten der Hexerei schuldig bekannt.« Matthew fluchte. »Die schottischen Richter müssen erst noch lernen, dass jeder einzelne Anklagepunkt weniger überzeugend wirkt, wenn man sie so aneinanderreiht. So wie sie es darstellen, hat der Teufel persönlich Sampson gegenüber König James zu seinem Erzfeind erklärt. Wahrscheinlich ist Elisabeth überglücklich, dass sie nicht an erster Stelle steht.«
»Hexen glauben nicht an den Teufel«, erklärte ich ihm. Von allen bizarren Dingen, die sich die Menschen über Hexen erzählten, war das am unbegreiflichsten.
»Die meisten Kreaturen glauben alles, was ihr augenblickliches Elend abkürzt, wenn sie wochenlang ohne Essen eingesperrt, gefoltert und eingeschüchtert wurden.« Matthew fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Agnes Sampsons Geständnis liefert – selbst wenn es erzwungen ist – scheinbar den Beweis, dass sich die Hexen in die politischen Angelegenheiten der Menschen einmischen, genau wie König James es behauptet.«
»Womit sie den Pakt brechen.« Schlagartig begriff ich, warum Agnes vom schottischen König so gnadenlos verfolgt worden war.
»Genau. Gallowglass will wissen, was er tun soll.«
»Was hast du getan, als du … letztes Mal hier warst?«
»Damals unternahm ich nichts gegen die Hinrichtung von Agnes Sampson, denn ich betrachtete sie als angemessene Strafe für ein Verbrechen, das außerhalb des Schutzbereichs der Kongregation lag.« Er sah mich an. Hexe und Historikerin rangen um eine Entscheidung, die eigentlich nicht möglich war.
»Dann musst du auch diesmal schweigen«, erklärte ich, nachdem die Historikerin gewonnen hatte.
»Aber wenn ich schweige, verurteile ich sie zum Tode.«
»Und wenn du dich einmischst, veränderst du die Vergangenheit, womöglich mit unvorstellbaren Konsequenzen für die Gegenwart. Ich möchte genauso wenig wie du, dass Agnes Sampson stirbt, Matthew. Aber wenn wir anfangen, die Dinge zu verändern, wo sollen wir dann aufhören?« Ich schüttelte den Kopf.
»Also werde ich erneut tatenlos zusehen, wie sich in Schottland die ganze grausame Hexenjagd entfaltet. Dabei empfinde ich diesmal ganz anders«, gestand er widerstrebend. »William Cecil hat mich nach England beordert, damit ich für die Königin Erkenntnisse über die Lage in Schottland sammle. Ich muss seinen Befehlen gehorchen, Diana. Ich habe keine Wahl.«
»Selbst wenn Cecil dich nicht angefordert hätte, müssten wir nach England zurückkehren. Champiers Freunden ist aufgefallen, dass er verschwunden ist. Und wir können sofort aufbrechen. Philippe hat alles arrangiert, damit wir notfalls unverzüglich abreisen können.«
»So kenne ich meinen Vater«, sagte Matthew mit freudlosem Lachen.
»Wie schade, dass wir schon wieder wegmüssen«, flüsterte ich.
Matthew zog mich an seine Seite. »Ohne dich hätte ich mich, wenn ich an meinen Vater dachte, immer nur an die leere, gebrochene Hülle dieses Mannes erinnert. Bitteres und Süßes lässt sich nicht trennen.«
Während
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