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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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am Ellbogen. »Non«, zischte er mir ins Ohr, ließ meinen Arm aber gleich wieder los. Diese Geste war allzu auffällig.
    Die Hand des Schreibers deutete nach Osten. »Ihr findet ihn an Paul’s Wharf. Geht zum Bishop’s Head und von dort aus nach Süden. Aber Monsieur Cornu kennt den Weg.«
    Ich drehte mich zu Pierre um, der wie gebannt einen Punkt oberhalb meines Kopfes fixierte. »Wirklich? Vielen Dank.«
    »Das ist Matthew Roydons Weib?«, fragte jemand kichernd, als wir aus dem Gedränge traten. » Mon dieu . Kein Wunder, dass er so erschöpft aussieht.«
    Ich schlug nicht sofort den Weg zur Apotheke ein. Stattdessen begann ich, den Blick fest auf die Kathedrale geheftet, das riesige Bauwerk zu umrunden. Es war für seine Größe überraschend elegant, aber dieser unglückselige Blitzschlag hatte es für immer entstellt.
    »Das ist nicht der schnellste Weg zum Bishop’s Head.« Pierre war nur einen Schritt hinter mir, statt wie sonst drei und prallte darum auf mich, als ich stehen blieb, um nach oben zu schauen.
    »Wie hoch war der Kirchturm?«
    »Fast so hoch, wie das Kirchenschiff lang ist. Milord war immer fasziniert, wie sie ihn so hoch bauen konnten.« Der jetzt fehlende Kirchturm hatte mit seiner schlanken Spitze, in der sich die zerbrechlichen Linien der Stützpfeiler und der gotischen Spitzgiebelfenster wiederholten, bestimmt das ganze Gebäude zum Himmel streben lassen.
    Ich spürte einen Energiestrom, der mich an den Dianatempel nahe Sept-Tours erinnerte. Tief unter der Kathedrale wusste etwas Mächtiges um meine Anwesenheit. Es reagierte mit einem Flüstern, einem leisen Beben unter meinen Füßen, einem zustimmenden Seufzen – und erstarb sofort wieder. Hier waren magische Kräfte am Werk – Kräfte, denen eine Hexe kaum widerstehen konnte.
    Ich schob die Kapuze in den Nacken und ließ den Blick über die Käufer und Verkäufer rund um St. Paul’s wandern. Dämonen, Hexen und Vampire bemerkten mich durchaus, aber hier war zu viel los, als dass ich wirklich aufgefallen wäre. Ich brauchte mehr Abgeschiedenheit.
    Also ging ich an der Nordseite der Kathedrale entlang und umrundete das östliche Ende, aber nur um festzustellen, dass es dort noch lauter und belebter war. Alle Augen richteten sich auf einen Mann auf einer erhöhten, überdachten und von einem Kreuz gekrönten Freiluftkanzel. Da es keine elektrische Verstärkeranlage gab, schlug der Mann sein Publikum mit drakonischem Gebrüll, dramatischen Gesten und drastischen Gleichnissen von Feuer und Schwefelgestank in Bann. Ich unterdrückte ein frustriertes Stöhnen. Ich hatte meinen Plan für schlicht unfehlbar gehalten. In Blackfriars gab es keine Hexen. Hier vor St. Paul’s gab es stattdessen zu viele. Und dass Pierre hinter mir herging, würde jede neugierige Kreatur abschrecken, die sich mir möglicherweise genähert hätte.
    »Bleib hier, und rühr dich nicht vom Fleck«, befahl ich ihm streng. Vielleicht würde ich eher den Blick einer mir freundlich gesonnenen Hexe auffangen, wenn er nicht neben mir stand und seine vampirische Missbilligung verströmte. Pierre lehnte sich an die Außenwand eines Bücherstandes und fixierte mich kommentarlos.
    Ich watete in das Gedränge zu Füßen von St. Paul’s und schaute dabei nach links und rechts, als versuchte ich eine verlorengegangene Freundin auszumachen. Ich wartete auf den kribbelnden Blick einer Hexe. Sie waren hier. Ich konnte sie spüren. Leider zeigten sie sich nicht, stattdessen stieß ich auf ein Mitglied der Schule der Nacht.
    »Mistress Roydon?«, rief eine vertraute Stimme. »Was bringt Euch hierher?«
    George Chapmans gerötetes Gesicht ragte zwischen den Schultern zweier Edelmänner hervor, die sich mit miesepetriger Miene anhörten, wie der Prediger alles Übel dieser Welt auf eine unheilige Kabale zwischen Katholiken und abenteuerlustigen Kaufleuten schob.
    »Ich bin auf der Suche nach Tinte. Und Siegelwachs.« Je öfter ich das wiederholte, desto alberner klang es.
    »Dann braucht Ihr einen Apotheker. Kommt. Ich bringe Euch zu meinem Händler.« George hielt mir den Ellbogen hin. »Er macht recht vernünftige Preise und ist sehr geschickt.«
    »Es wird schon spät, Master Chapman«, mischte sich Pierre ein, der aus dem Nichts aufgetaucht war.
    »Mistress Roydon sollte die frische Luft genießen, solange sie Gelegenheit dazu hat. Die Männer am Fluss meinen, dass der Regen bald wieder einsetzen wird, und sie haben sich noch selten geirrt. Außerdem befindet sich John Chandlers

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