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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Laden nur knapp außerhalb der Mauern an der Red Cross Street. Das ist nicht einmal eine halbe Meile von hier.«
    Dass ich George begegnet war, erschien mir plötzlich wie ein Glückstreffer und nicht mehr als Ärgernis. Bestimmt würden wir auf unserem Spaziergang einer Hexe begegnen.
    »Matthew hätte gewiss nichts gegen einen Gang mit Master Chapman einzuwenden – und schon gar nicht, wenn du mich ebenfalls begleitest«, erklärte ich Pierre und hakte mich bei George ein. »Befindet sich diese Apotheke zufällig in der Nähe von Paul’s Wharf?«
    »Ganz im Gegenteil«, sagte George. »Aber an Paul’s Wharf wollt Ihr gewiss nicht einkaufen. Dort hat allein John Hester seine Apotheke, und dessen Preise übersteigen jedes vernünftige Maß. Master Chandler wird Euch bessere Dienste erweisen, und zwar zum halben Preis.«
    Ich beschloss, John Hester ein andermal auf meine Erledigungsliste zu setzen, und nahm Georges Arm. Wir schlenderten von der Kathedrale weg nach Norden, an eleganten Häusern und Gärten vorbei.
    »Hier wohnt Henrys Mutter«, erklärte George und deutete dabei auf ein besonders imposantes Gebäudeensemble zu unserer Linken. »Er hasst diesen Bau und hat lieber um die Ecke bei Matt gewohnt, bis Mary ihn überzeugte, dass seine Unterkunft eines Earls nicht würdig sei. Jetzt ist er in ein Haus an The Strand gezogen. Mary freut sich, aber Henry findet den Bau bedrückend, und die Feuchtigkeit bekommt seinen Knochen nicht.«
    Direkt hinter dem Familiensitz der Percys erhoben sich die Stadtmauern. Von den Römern erbaut, um Londinium gegen eine Invasion zu schützen, stellten sie immer noch die offiziellen Stadtgrenzen dar. Nachdem wir das Aldersgate durch- und eine niedrige Brücke überquert hatten, gelangten wir auf offene Felder, zwischen denen sich Häuser um mehrere kleine Kirchen drängten. Der Anblick der ländlichen Idylle ging mit einem Duft einher, bei dem ich mir den Handschuh auf die Nase presste.
    »Der Stadtgraben«, entschuldigte sich George und deutete auf den modrigen Fluss unter unseren Füßen. »Leider ist das der kürzeste Weg. Bald wird die Luft besser.« Ich wischte mir die tränenden Augen und hoffte inständig, dass er recht behielt.
    George lenkte mich die Straße entlang, die immerhin so breit war, dass Kutschen, Karren voller Lebensmittel und sogar zwei Ochsengespanne aneinander vorbeikamen. Unterwegs erzählte er mir von seinem Besuch bei seinem Verleger William Ponsonby. Chapman war zutiefst betrübt, dass mir der Name nichts sagte. Ich wusste kaum etwas über die Feinheiten des Buchgewerbes im elisabethanischen Zeitalter und befragte ihn ausgiebig zu dem Thema. George ließ sich glücklich darüber aus, wie viele Stückeschreiber – unter anderen auch Kit – Ponsonby abgelehnt hatte. Ponsonby arbeitete lieber mit ernsthaften Literaten, und sein Autorenstall war wahrhaft illuster: Edmund Spenser, die Countess of Pembroke, Philip Sidney.
    »Ponsonby hätte auch Matts Gedichte verlegt, aber der wollte nicht.« George schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Seine Gedichte?« Ich blieb unvermittelt stehen. Ich wusste, dass Matthew Gedichte liebte, aber nicht, dass er selbst welche schrieb.
    »Ja. Matt besteht darauf, dass seine Verse nur für die Augen seiner Freunde gedacht sind. Wir alle lieben seine Elegie für Marys Bruder Philip. Doch Aug und Or und jeglicher Sinn / Schmelzen bei seinem süezen Antlitz dahin.« George lächelte. »Eine wunderbare Arbeit. Aber Matthew macht von der Presse kaum Gebrauch und beklagt sich, sie hätte nur zu Zwietracht und unbedachten Meinungsäußerungen geführt.«
    Trotz seines modernen Labors hatte Matthew mit seiner Liebe zu antiken Uhren und Oldtimern etwas Kauziges. Und jetzt Lyrik. Ich presste die Lippen zusammen, um angesichts dieses letzten Beweises für seine Fortschrittsskepsis nicht zu lächeln. »Wovon handeln seine Gedichte?«
    »Meist von Liebe und Freundschaft, obwohl er in letzter Zeit mit Walter auch Verse über … dunklere Themen wechselt. Aus beiden scheint in letzter Zeit derselbe Geist zu sprechen.«
    »Dunkler?« Ich runzelte die Stirn.
    »Er und Walter heißen nicht immer gut, was um sie herum geschieht«, erklärte George gedämpft und ließ den Blick argwöhnisch über die Gesichter der Passanten wandern. »Beide neigen zu Ungeduld – vor allem Walter – und bezichtigen die Mächtigen der Lüge. Ich halte das für gefährlich.«
    »Bezichtigen sie der Lüge«, wiederholte ich langsam. Es gab ein berühmtes Gedicht

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