Wo die Nacht beginnt
denn?«
»So belebt – ununterbrochen stellst du Fragen oder erzählst, was ihr gemacht habt oder was ihr für nächste Woche plant.«
»Ich bin gern wieder Studentin«, gestand ich. »Anfangs fand ich es schwierig, dass ich nicht auf alles eine Antwort wusste. Im Lauf der Jahre hatte ich vergessen, wie spannend es ist, nichts als Fragen zu haben.«
»Und du fühlst dich hier wesentlich freier als in Oxford. Geheimnisse machen einsam.« Matthew sah mich mitfühlend an und strich mit einem Finger über mein Kinn.
»Ich war nie einsam.«
»O doch. Ich glaube, du bist es immer noch«, widersprach er leise.
Bevor ich etwas darauf entgegnen konnte, hatte mich Matthew aus meinem Stuhl gehoben und schob mich auf die Wand am Kamin zu. Plötzlich stand Pierre, der nirgendwo zu sehen gewesen war, auf der Schwelle.
Dann klopfte jemand. Matthews Schultermuskeln spannten sich an, und an seinem Schenkel blitzte ein Dolch auf. Als er nickte, trat Pierre an den Treppenaufgang und riss die Tür auf.
»Wir haben eine Nachricht von Vater Hubbard.« Vor der Tür standen zwei Vampire, in teure Gewänder gekleidet, die sich eigentlich kein Bote leisten konnte. Beide sahen wie höchstens fünfzehnjährig aus. Ich hatte noch nie einen Teenagervampir gesehen und immer geglaubt, dass so etwas verboten sein müsste.
»Master Roydon.« Der Größere der beiden Vampire zupfte an seiner Nasenspitze und betrachtete Matthew aus indigoblauen Augen. Dann wanderten die Blicke von Matthew zu mir weiter, und mir brannte die Haut unter der Kälte. »Mistress.« Matthews Hand umschloss den Dolch fester, und Pierre positionierte sich vorsichtshalber zwischen uns und der Tür.
»Vater Hubbard will Euch sehen«, meldete sich der kleinere Vampir zu Wort und fixierte dabei verächtlich die Waffe in Matthews Hand. »Kommt, wenn die Glocken die siebte Stunde schlagen.«
»Richtet Hubbard aus, dass ich kommen werde, wann es mir richtig erscheint«, erwiderte Matthew giftig.
»Nicht Ihr allein«, erläuterte der größere Junge.
»Ich habe Kit heute nicht gesehen«, antwortete Matthew leicht gereizt. »Falls er wieder in Schwierigkeiten ist, weiß Euer Herr bestimmt besser als ich, wo er ihn suchen muss, Amen Corner.« Der Name passte zu dem Jungen. Der schlaksige Körper war eckig und kantig.
»Marlowe ist schon seit heute Morgen bei Vater Hubbard.« Corners Stimme sackte vor Langeweile ins Bodenlose.
»Wirklich?« Matthew sah ihn scharf an.
»Ja. Vater Hubbard will die Hexe sehen«, sagte Amen Corners Gefährte.
»Ich verstehe«, antwortete Matthew tonlos. Ich sah einen schwarz-silbernen Wirbel, dann steckte sein polierter Dolch bebend neben Corners Auge im Türstock. Matthew schlenderte hinterher. Beide Vampire traten unwillkürlich einen Schritt zurück. »Danke für die Nachricht, Leonard.« Dann schob er die Tür mit dem Fuß zu.
Pierre und Matthew wechselten einen langen, wortlosen Blick, während Vampirfüße die Treppe hinuntertrampelten.
»Hancock und Gallowglass«, befahl Matthew.
»Sofort.« Pierre wirbelte aus dem Raum, dicht an Françoise vorbei. Sie zog den Dolch aus dem Türrahmen.
»Wir hatten Besuch«, erklärte Matthew, bevor sie sich über das Loch im Holz beschweren konnte.
»Was wird hier gespielt, Matthew?«, fragte ich.
»Wir gehen einen alten Freund besuchen.« Seine Stimme blieb unheilverheißend ruhig.
Ich fasste den Dolch ins Auge, der inzwischen auf dem Tisch lag. »Ist dieser alte Freund ein Vampir?«
»Wein, Françoise.« Matthew zog ein paar Blätter Papier zu sich her und brachte damit meine sorgsam sortierten Stapel in Unordnung. Ich protestierte halblaut, als er nach einer meiner Federn griff und rasend schnell etwas notierte. Seit die beiden Vampire an unserer Tür geklopft hatten, hatte er mich kein einziges Mal angesehen.
»Ich habe noch frisches Blut vom Schlachter. Vielleicht solltet Ihr …«
Matthew sah auf, den Mund zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Ohne weitere Widerrede schenkte Françoise ihm einen großen Becher Wein ein. Als sie damit fertig war, überreichte er ihr zwei Briefe.
»Bring den zum Earl of Northumberland ins Russell House. Der andere ist für Raleigh. Der ist mit Sicherheit in Whitehall.« Françoise lief augenblicklich los, und Matthew trat ans Fenster und sah hinaus. Die Haare hatten sich in seinem hohen Leinenkragen verheddert, und plötzlich spürte ich den Drang, sie ihm zu richten. Aber seine durchgestreckten Schultern warnten mich, dass er eine so
Weitere Kostenlose Bücher