Wo die Nacht beginnt
getragen hatte.
»Ihr treibt ständig Spiele«, parierte er. »Darin seid Ihr nicht anders als der Kaiser oder Heinrich von Frankreich.«
»Mistress Throckmorton erzählte mir, dass Ihr mit Walter Verse über die Launenhaftigkeit der Mächtigen austauscht. Nun zähle ich keinesfalls unter diese eitlen Potentaten, die nur Hohn und Spott verdienen. Ich wurde von strengen Lehrmeistern erzogen«, gab die Königin zurück. »Alle um mich herum – Mutter, Tanten, Stiefmütter, Onkels und Cousins – sind gestorben. Ich habe überlebt. Also glaubt nicht, Ihr könntet mich ungestraft belügen. Ich frage Euch noch einmal, was ist mit dem Buch geschehen?«
»Wir haben es nicht«, warf ich ein.
Matthew sah mich erschrocken an.
»Das Buch befindet sich nicht in unserem Besitz. Gegenwärtig.« Bestimmt lag es inzwischen sicher in Matthews Speicherarchiv im Hart and Crown. Ich hatte das in Öltuch und Leder geschlagene Buch Gallowglass in die Hand gedrückt, als die königliche Barke auf der Themse längsseits zu unserem Schiff gegangen war.
»So, so.« Elisabeth öffnete langsam den Mund und zeigte dabei ihre braunen Zähne. »Ihr überrascht mich. Und Euren Gemahl ebenfalls, so wie es aussieht.«
»Ich stecke voller Überraschungen, Eure Majestät. So sagt man wenigstens.« Ganz gleich, wie oft Matthew sie Lizzie nannte oder sie ihn als Sebastian ansprach, ich achtete darauf, die Form zu wahren.
»Dann scheint der Kaiser einem Hirngespinst anzuhängen. Wie erklärt Ihr Euch das?«
»Das ist nicht weiter bemerkenswert.« Matthew schnaubte abfällig. »Ich fürchte, der Irrsinn, unter dem Rudolfs ganze Familie leidet, hat nun auch ihn befallen. Schon jetzt plant Matthias seinen Sturz und bringt sich in Position, um dem Kaiser die Macht zu entreißen.«
»Kein Wunder, dass der Kaiser Kelley um jeden Preis behalten will. Der Stein der Weisen wird ihn heilen und die Frage eines Nachfolgers überflüssig machen.« Dann verfinsterte sich die Miene der Königin. »Er wird ewig leben, und das ohne jede Angst.«
»Kommt schon, Lizzie. Ihr wisst, dass das nicht stimmt. Kelley kann den Stein nicht herstellen. Er kann weder Euch noch sonst jemanden retten. Selbst Königinnen und Könige müssen eines Tages sterben.«
»Wir sind Freunde, Sebastian, trotzdem solltet Ihr Euch nicht vergessen.« Elisabeths Augen glitzerten.
»Als Ihr sieben Jahre alt wart und mich fragtet, ob Euer Vater vorhätte, seine neue Gemahlin zu töten, sagte ich Euch die Wahrheit. Ich war damals ehrlich zu Euch und werde auch jetzt ehrlich zu Euch sein, so sehr Euch das auch ärgert. Nichts wird Eure Jugend wiederherstellen, Lizzie, oder all jene wiederaufstehen lassen, die Ihr verloren habt«, erklärte Matthew unnachgiebig.
»Nichts?« Elisabeth musterte ihn ausgiebig. »An Euch kann ich keine Falte und kein graues Haar entdecken. Ihr seht genauso aus wie vor fünfzig Jahren, als ich in Hampton Court mit Scheren nach Euch warf.«
»Wenn Ihr mich bitten wollt, Euch mit meinem Blut in einen Wearh zu verwandeln, Eure Majestät, so muss die Antwort Nein lauten. Der Pakt verbietet, dass wir uns in menschliche Angelegenheiten mischen – und somit dürfen wir gewiss nicht in die englische Thronfolge eingreifen, indem wir ein nichtmenschliches Wesen auf den Thron setzen.« Matthew sah sie abweisend an.
»Und würdet Ihr genauso antworten, wenn Rudolf Euch mit dieser Bitte käme?« Elisabeths schwarze Augen glitzerten gefährlich.
»Ja. Alles andere würde zu Chaos – und Schlimmerem – führen.« Die Vorstellung war gespenstisch. »Eure Regentschaft ist ungefährdet«, versicherte Matthew ihr. »Der Kaiser benimmt sich wie ein verhätscheltes Kind, dem man eine Süßigkeit verwehrt. Das ist alles.«
»Und gleichzeitig baut sein Onkel, Philip von Spanien, neue Schiffe. Er plant bestimmt die nächste Invasion!«
»Die zu nichts führen wird«, versprach Matthew.
»Ihr klingt sehr überzeugt.«
»Das bin ich auch.«
Löwin und Wolf beobachteten einander über den Tisch hinweg. Schließlich war Elisabeth es zufrieden und wandte seufzend den Blick ab.
»Nun denn. Ihr habt das kaiserliche Buch nicht, und ich habe weder Kelley noch den Stein. Wir müssen alle lernen, mit Enttäuschungen zu leben. Dennoch brauche ich etwas, womit ich den kaiserlichen Botschafter besänftigen kann.«
»Wie wäre es hiermit?« Ich zog meinen Beutel aus meinem Rock. Darin lagen, von Ashmole 782 und dem Ring an meinem Finger einmal abgesehen, meine wertvollsten Besitztümer
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