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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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massiven Mauern eines alten mittelalterlichen Klosters von den Insassen trennten, gingen mir die Schreie durch Mark und Bein. Die meisten Fenster waren nicht mehr als offene Luken und boten keinen Schutz vor Wind und Wetter. Der Gestank nach Verwesung, Dreck und Alter verschlug mir den Atem.
    »Nein«, schlug ich Hubbards ausgestreckte Hand aus, als wir in den feuchten, dunklen Bau traten. Irgendwie wäre es mir obszön vorgekommen, seine Hilfe anzunehmen, wo ich doch jederzeit gehen konnte, während den Insassen jede Hilfe verweigert wurde.
    Drinnen stürmten die Geister unzähliger früherer Insassen auf mich ein, während ich mich gleichzeitig zahllosen rissigen Strängen gegenübersah, die von den gegenwärtigen gequälten Insassen dieses Asyls ausgingen. Ich versuchte mein Entsetzen zu lindern, indem ich mich in makaberen mathematischen Berechnungen erging und die Männer und Frauen, die ich sah, in kleinere Gruppen aufteilte, um sie anschließend neu zu ordnen.
    Auf dem Weg durch den Gang zählte ich zwanzig Insassen. Darunter waren vierzehn Dämonen. Ein halbes Dutzend der zwanzig war vollkommen nackt, zehn weitere waren in Lumpen gehüllt. Eine Frau in verdreckter, aber edler Männerkleidung starrte uns offen feindselig an. Sie zählte zu den drei Menschen, die uns begegneten. Daneben gab es zwei Hexen und einen Vampir. Fünfzehn arme Seelen waren mit Handschellen an die Wände gefesselt, an den Boden gekettet oder beides. Vier der anderen fünf konnten nicht mehr stehen und kauerten vor sich hin plappernd und an den Steinen kratzend an der Wand. Ein einziger Patient durfte sich frei bewegen. Er tanzte nackt vor uns den Gang entlang.
    Ein einziger Raum hatte eine Tür. Etwas sagte mir, dass ich dahinter Louisa und Kit finden würde.
    Der Schließer entriegelte die Tür und klopfte scharf an. Als niemand antwortete, schlug er mit der Faust gegen das Holz.
    »Ich habe Euch schon beim ersten Mal gehört, Master Sleford.« Gallowglass sah mitgenommen aus, über seine Wange zogen sich frische Kratzer, und sein Wams war blutfleckig. Als er mich hinter Sleford stehen sah, trat er überrascht einen Schritt zurück. »Tantchen.«
    »Lass mich rein.«
    »Das ist keine gute …« Gallowglass sah mir ins Gesicht und trat zur Seite. »Louisa hat ziemlich viel Blut verloren. Sie ist hungrig. Halt dich von ihr fern, wenn du nicht gebissen oder gar zerfleischt werden willst. Ich habe ihr die Nägel gestutzt, aber ihre Zähne bleiben scharf.«
    Obwohl der Weg frei war, blieb ich wie angewurzelt in der Tür stehen. Die schöne, grausame Louisa war an einen im Boden eingelassenen Eisenring gekettet. Ihr Kleid war zerfetzt und durchtränkt mit dem Blut, das aus tiefen Wunden an ihrem Hals lief. Jemand hatte klargestellt, dass er über Louisa gebieten konnte – jemand, der stärker und noch wütender war als sie.
    Ich suchte den Halbschatten ab, bis ich eine dunkle Gestalt ausmachte, die über einem am Boden liegenden Haufen kauerte. Matthew hob abrupt den Kopf. Sein Gesicht war gespenstisch bleich, seine Augen waren schwarz wie die Nacht. Ich entdeckte nicht einen Blutstropfen an seiner Kleidung. Dass er so sauber war, erschien mir fast so obszön wie Hubbards hilfsbereit ausgestreckte Hand.
    »Du solltest zu Hause sein, Diana.« Er stand auf.
    »Ich bin genau da, wo ich sein muss, vielen Dank.« Ich ging auf meinen Ehemann zu. »Blutrausch und Mohn sind keine gute Kombination, Matthew. Wie viel von ihrem Blut hast du getrunken?« Der Klumpen am Boden bewegte sich.
    »Ich bin da, Christopher«, rief Hubbard ihm zu. »Euch wird kein Leid mehr zugefügt.«
    Vor Erleichterung begann Marlowe so zu weinen, dass sein Körper unter den Schluchzern erbebte.
    »Wir befinden uns außerhalb der Stadtgrenzen, Hubbard«, wies Matthew ihn kühl zurecht. »Hier habt Ihr keine Amtsgewalt mehr, darum steht Kit hier nicht unter Eurem Schutz.«
    »Mein Gott, geht das schon wieder los.« Gallowglass knallte dem verdutzten Sleford die Tür ins Gesicht. »Abschließen!«, brüllte er durch das Holz und unterstrich den Befehl mit einem Fausthieb.
    Sobald der Riegel vorgeschoben wurde, sprang Louisa auf, und die Ketten um ihre Hand- und Fußgelenke klirrten ärgerlich. Eine riss, und ich sprang erschrocken zurück, als die abgetrennten Glieder über den Boden schlitterten. Draußen im Gang begannen mitfühlend die Ketten zu scheppern.
    »Nichtmeinblutnichtmeinblutnichtmeinblut«, flehte Louisa im Singsang. Sie presste sich so flach wie möglich an die

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