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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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»Und bei Nacht! Du hast es nicht vergessen.«
    »Ein Gentleman vergisst so etwas nicht«, murmelte er unter einer dezenten Verbeugung. »Ich weiß nicht, ob die Läden noch geöffnet haben, aber die Lichter brennen noch. Würdest du mir bei einem Rundgang Gesellschaft leisten?«
    Wir betraten den Innenhof durch den weiten Bogengang neben dem mit einem goldenen Grashüpfer verzierten Glockenturm. Drinnen drehte ich mich langsam im Kreis und ließ den Blick über das vierstöckige Gebäude wandern, in dem Hunderte von Geschäften untergebracht waren und wo es von der Rüstung bis zum Schuhlöffel alles zu kaufen gab. Statuen englischer Monarchen blickten auf Kunden und Kaufleute herab, und eine ganze Heuschreckenplage schmückte den Giebel jedes Mansardenfensters.
    »Der Grashüpfer war Greshams Wappentier, und er hatte keine Skrupel, Werbung für sich zu machen«, erklärte Matthew lachend, als er meinen Blick bemerkte.
    Einige Geschäfte hatten tatsächlich noch geöffnet, die Lampen unter den Arkaden rund um den Innenhof waren angezündet worden, und wir waren nicht die Einzigen, die hier den Abend genossen.
    »Woher kommt die Musik?« Ich sah mich nach den Musikanten um.
    »Aus dem Turm.« Matthew deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Die Kaufleute legen zusammen und veranstalten bei schönem Wetter Konzerte. Die Musik ist gut fürs Geschäft.«
    Den vielen Kaufleuten nach zu urteilen, die Matthew begrüßten, war er ebenfalls gut fürs Geschäft. Er scherzte mit ihnen und erkundigte sich nach ihren Frauen und Kindern.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte er dann und verschwand in einem nahen Laden. Gebannt blieb ich stehen, lauschte der Musik und schaute zu, wie eine energische junge Frau einen gemeinsamen Tanz organisierte. Die Menschen bildeten Kreise, hielten sich an den Händen und sprangen herum wie Popcorn im Kessel.
    Als Matthew zurückkam, präsentierte er mir … mit gebotener Grazie …
    »Eine Mausefalle!« Kichernd untersuchte ich das kleine Holzkästchen mit der Falltür.
    » Das ist eine Mausefalle«, erklärte er mir und nahm meine Hand. Er trat ein paar Schritte zurück und zog mich dabei in die Mitte der Tanzenden. »Tanz mit mir.«
    »Diesen Tanz kenne ich nicht.« Das Gehüpfe hatte nichts mit den gemessenen Schreittänzen in Sept-Tours oder an Rudolfs Hof gemein.
    »Ich schon«, sagte Matthew, ohne sich zu den kreiselnden Paaren in seinem Rücken umzudrehen. »Es ist ein alter Tanz – er heißt Die schwarze Nörglerin , und die Schritte sind ganz einfach.« Er zog mich zum Ende der Tanzformation, nahm mir die Mausefalle aus der Hand und gab sie einem Straßenkind zur Aufbewahrung. Dabei versprach er dem Jungen einen Penny, wenn er uns die Mausefalle nach dem Lied zurückgab.
    Matthew nahm meine Hand, und als die anderen sich zu bewegen begannen, taten wir es ihnen nach. Drei Schritte, dann ein kleiner Fußheber vorwärts, drei Schritte und ein kleiner Tapser nach hinten. Nach einigen Wiederholungen wagten wir uns an kompliziertere Schrittfolgen, bei denen sich die zwölf Tänzer in zwei Sechserreihen aufteilten und die Plätze zu wechseln begannen, wobei sie diagonal zwischen den Reihen hin und her wechselten und sich vor und zurück wiegten.
    Als der Tanz zu Ende war, wurde nach mehr Musik und bestimmten Stücken verlangt, aber wir verließen die Börse. Matthew ließ sich meine Mausefalle aushändigen und schlug, statt mich heimzubringen, den Weg zum Fluss ein. Wir schlängelten uns durch so viele Gassen und passierten so viele Kirchhöfe, dass ich komplett die Orientierung verloren hatte, als wir schließlich All Hallows the Great erreichten. In dem verlassenen Kloster neben der Kirche mit dem hohen, rechteckigen Turm hatten einst Mönche gewohnt. Wie die meisten Londoner Kirchen verfiel auch All Hallows allmählich, und die mittelalterlichen Mauern bröckelten.
    »Hast du Lust auf einen Aufstieg?«, fragte Matthew und zwängte sich im selben Moment durch eine niedrige Holztür unten im Kirchturm.
    Ich nickte, und wir begannen die Treppe zu erklimmen. Wir kamen an den Glocken vorbei, die glücklicherweise in diesem Moment nicht läuteten, und dann drückte Matthew eine Luke im Dach auf. Er kroch durch das Loch, fasste nach unten und zog mich hinauf. Gleich darauf standen wir hinter dem Zinnenkranz und blickten hinab auf die Stadt, die sich zu unseren Füßen ausbreitete.
    Die Feuer auf den Hügeln rund um die Stadt loderten bereits, und Laternen schaukelten an den Booten

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