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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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ich keine Schwierigkeiten, die Treppe hinaufzusteigen. Aber nach dem Aufstieg zitterten meine Beine derart, dass mein Fuß an einer unebenen Steinplatte am Eingang hängenblieb. Das kurze Straucheln genügte, um Matthew in Rage zu versetzen.
    »Philippe kennt kein Benehmen«, fauchte er, als er mich an der Taille auffing. »Sie ist seit Tagen unterwegs.«
    »Seine Befehle waren eindeutig, Sir.« Alains steife, förmliche Antwort war Mahnung genug.
    »Es ist schon gut, Matthew.« Ich schob mir die Kapuze aus dem Gesicht, um den Saal in Augenschein zu nehmen. Verschwunden waren die Rüstungen und Lanzen, die ich im 21. Jahrhundert hier gesehen hatte. An ihrer Stelle erhob sich eine große, mit Schnitzereien verzierte Trennwand, um Zugluft zu vermeiden, wenn die Tür geöffnet wurde. Verschwunden waren auch die falschen mittelalterlichen Gemälde, der runde Tisch, die Porzellanschale. Stattdessen klatschten schwere Wandteppiche gegen die Steinmauern, wenn sich die warme Luft aus dem Kamin mit der kalten Luft von draußen vermischte. Zwei lange Tafeln, flankiert von ebenso langen Bänken, füllten den verbleibenden Raum aus, und dazwischen eilten Männer und Frauen auf und ab, die Teller und Schüsseln fürs Abendessen bereitstellten. Hier war Platz für mehrere Dutzend Gäste und Burgbewohner. Auf der im 21. Jahrhundert so verlassen wirkenden Sängergalerie drängten sich jetzt Musikanten, die ihre Instrumente stimmten.
    »Unglaublich«, hauchte ich durch steife Lippen.
    Kalte Finger legten sich um mein Kinn und drehten es herum. »Du bist ganz blau«, stellte Matthew fest.
    »Ich werde einen Rost für ihre Füße und warmen Wein bringen«, versprach Alain. »Und wir legen noch Holz nach.«
    Ein warmblütiger Mensch erschien und nahm mir den nassen Umhang ab. Matthew drehte sich abrupt in die Richtung, in der später einmal das Frühstückszimmer liegen würde. Ich spitzte die Ohren, hörte aber nichts.
    Alain schüttelte bedauernd den Kopf. »Er ist schlechter Laune.«
    »Ganz offensichtlich.« Matthew senkte den Kopf. »Philippe brüllt nach uns. Bist du sicher, Diana? Ich werde mich seinem Zorn stellen, wenn du ihn heute Abend nicht mehr sehen möchtest.«
    Aber bei der ersten Begegnung nach sechs Jahrzehnten sollte Matthew seinem Vater nicht allein gegenübertreten. Er hatte mir zur Seite gestanden, als ich mich den Geistern gestellt hatte, die mich verfolgten, und ich würde das Gleiche für ihn tun. Und danach würde ich ins Bett fallen und bis Weihnachten durchschlafen.
    »Gehen wir«, erklärte ich entschlossen und hob meine Röcke.
    Sept-Tours war zu alt, als dass es dort moderne Errungenschaften wie Flure gegeben hätte, darum schlängelten wir uns durch eine Rundbogentür rechts neben dem Kamin und standen im nächsten Moment in der Ecke jenes Raumes, der Ysabeau später als eleganter Salon dienen würde. Noch war er allerdings nicht mit Antiquitäten vollgestellt, sondern ebenso sparsam eingerichtet wie jedes andere Zimmer, in dem ich seit Beginn unserer Reise gewesen war. Die schweren Eichenmöbel waren allein durch ihr Gewicht diebstahlsicher und widerstanden auch den Nebenwirkungen gelegentlicher Schlachten, wie die tiefe Kerbe bewies, die sich schräg über den Deckel einer Truhe zog.
    Von dort aus führte uns Alain weiter in den Raum, in dem Ysabeau und ich eines Tages inmitten warmer Terrakottawände an einem Tisch mit getöpfertem Geschirr und schwerem Silberbesteck unser Frühstück einnehmen würden. Jetzt allerdings sah es hier völlig anders aus: Nur ein einsamer Tisch und ein Stuhl standen darin. Die Tischplatte war übersät mit Papieren und Schreibwerkzeugen. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn im nächsten Moment erstiegen wir eine ausgetretene Steintreppe, die in einen mir unbekannten Teil des Châteaus führte.
    Die Treppe endete abrupt an einem breiten Absatz. Links öffnete sich eine lange Galerie, auf der sich eine bunte Mischung aus Gerätschaften, Uhren, Waffen, Porträts und Möbeln angesammelt hatte. Eine verbeulte Goldkrone hing nachlässig auf dem Marmorkopf eines antiken Gottes. Aus der Mitte der Krone funkelte mich bösartig und blutrot ein eiergroßer Rubin an.
    »Hier entlang«, sagte Alain und winkte uns weiter in die nächste Kammer. Dort erwartete uns wieder eine Treppe, die erstaunlicherweise noch weiter aufwärts führte. Beiderseits einer geschlossenen Tür waren ein paar ungemütliche Bänke aufgestellt worden. Alain wartete geduldig und schweigend darauf, dass unsere

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