Wo die Nacht beginnt
Nähe kam, nur nicht nach dem Geschöpf auf seinem Rücken. Beide Pferde stammten aus den Stallungen der de Clermonts und kannten den Weg nach Hause, ohne dass man sie lenken musste, und beide konnten es kaum erwarten, zu ihren Hafereimern und in den warmen Stall zurückzukehren.
» Dieu. Das ist der letzte Platz auf Erden, an den ich zurückzukehren erwartet hätte.« Matthew blinzelte, als würde er damit rechnen, dass sich das Schloss vor seinen Augen in Luft auflöste.
Ich beugte mich hinüber und legte die Hand auf seinen Unterarm. »Du kannst es dir immer noch überlegen. Wir können immer noch umkehren.« Pierre sah mich mitleidig an, und Matthew lächelte melancholisch.
»Du kennst meinen Vater nicht.« Sein Blick richtete sich wieder auf die Burg.
Fackeln flackerten links und rechts, als wir schließlich in Sept-Tours einritten. Die schweren Torflügel aus Holz und Eisen waren weit geöffnet, und vier Männer standen schweigend Spalier. Gleich hinter uns knallten die Tore zu, und zwei Männer zogen einen langen Stamm aus seinem Platz innerhalb der Mauern, um die Pforte zu sichern. Nachdem ich sechs Tage quer durch Frankreich geritten war, wusste ich, wie klug solche Vorsichtsmaßnahmen waren. Hier misstraute man allen Fremden, denn jeder fürchtete, dass ihnen marodierende Soldatenhorden und neues Blutvergießen folgten.
Drinnen erwartete uns eine wahre Armee – aus Menschen wie Vampiren. Sechs von ihnen kümmerten sich um die Pferde. Einem weiteren überreichte Pierre ein kleines Briefbündel, während andere ihm halblaut Fragen stellten und dabei verstohlen in meine Richtung sahen. Niemand näherte sich mir oder bot mir Hilfe an. Vor Kälte und Erschöpfung schlotternd saß ich auf dem Pferd und suchte die Menge nach Philippe ab. Er würde bestimmt einem von ihnen befehlen, mir vom Pferd zu helfen.
Matthew bemerkte meine Zwangslage und schwang sich beneidenswert geschmeidig von seinem Pferd. Mit ein paar schnellen Schritten war er an meiner Seite, zog bedächtig meinen vor Kälte gefühllosen Fuß aus dem Steigbügel und ließ ihn langsam kreisen, um ihn wieder beweglich zu machen. Ich war ihm aufrichtig dankbar für seine Umsicht, denn ich hätte meinen Besuch in Sept-Tours ungern damit begonnen, dass ich mit dem Gesicht voran in den zertrampelten Schnee und Dreck des Burghofes plumpste.
»Wer von diesen Männern ist dein Vater?«, flüsterte ich, als er unter dem Pferdehals durchtauchte, um meinen anderen Fuß aus dem Steigbügel zu schieben.
»Keiner. Er ist im Haus geblieben. Offenbar hat er es doch nicht so eilig, uns zu sehen, nachdem er darauf bestanden hat, dass wir zu ihm reiten, als wären uns alle Höllenhunde auf den Fersen. Du solltest auch im Haus sein.« Matthew begann in knappem Französisch Befehle zu bellen und schickte die glotzenden Dienstboten in alle Richtungen los, bis nur noch ein einziger Vampir unten an der Wendeltreppe stand, die zur Tür des Châteaus hinaufführte. Wieder merkte ich, wie Gegenwart und Vergangenheit kollidierten, als ich mich erinnerte, wie ich eine im 16. Jahrhundert noch nicht gebaute Treppe hinaufgestiegen und Ysabeau gegenübergetreten war.
»Alain.« Matthews Gesicht hellte sich erleichtert auf.
»Willkommen daheim.« Der Vampir sprach Englisch. Während er leicht hinkend auf uns zukam, konnte ich ihn ausgiebig betrachten: das graumelierte Haar, die Falten um die gütigen Augen, den drahtigen Körperbau.
»Danke, Alain. Das ist meine Gemahlin Diana.«
»Madame de Clermont.« Alain verbeugte sich in achtsamer, respektvoller Distanz.
»Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen, Alain.« Wir waren uns noch nie begegnet, doch schon jetzt assoziierte ich seinen Namen mit bedingungsloser Ergebenheit und Loyalität. Schließlich hatte Matthew im 21. Jahrhundert mitten in der Nacht Alain angerufen, als er sicherstellen wollte, dass es in Sept-Tours etwas zu essen für mich geben würde.
»Euer Vater wartet bereits.« Alain trat beiseite, um uns passieren zu lassen.
»Lass etwas zu essen in meine Gemächer bringen – etwas Einfaches. Diana ist müde und hungrig.« Matthew reichte Alain die Handschuhe. »Ich komme gleich zu ihm.«
»Er erwartet Euch und sie ebenfalls, und zwar sofort.« Alain gab sich Mühe, sich keinerlei Gefühl anmerken zu lassen. »Gebt Acht auf den Stufen, Madame. Die Treppe ist eisig.«
»Tut er das?« Matthew sah angespannt an der Mauer der gedrungenen Festung hoch.
Da Matthews Hand fest an meinem Ellbogen lag, hatte
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