Wo die Nelkenbaeume bluehen
Speisen einzufärben. Im Mittelalter wurde übrigens dadurch der sehr viel teurere Safran ersetzt.“
„Und das da?“ Lena deutete auf eine Pflanze, die wie Efeu am Stamm eines Baumes hinaufrankte und an der Stängel mit kleinen grünen Beeren wuchsen. „Was ist das?“
Aaliyah zupfte einige der Kügelchen ab und hielt sie Lena hin. „Ich wage zu behaupten, dass dieses Gewürz in jedem Küchenschrank zu finden ist. Schauen Sie doch einmal ganz genau hin. Erkennen Sie, worum es sich handelt?“
Lena nahm eines der Kügelchen und betrachtete es eingehend. Sie hatte sich bisher noch nie mit Gewürzen und deren Herkunft befasst, doch dank Aaliyahs Tipp glaubte sie zu erkennen, was sie vor sich hatte. „Ist das Pfeffer?“
„Genau“, erwiderte Aaliyah. „Das ist grüner Pfeffer. Um schwarzen Pfeffer zu erhalten, werden diese Beeren getrocknet, und für roten Pfeffer lässt man sie einfach ein oder zwei Monate länger an der Traube.“
„Und wie stellt man weißen Pfeffer her?“, wollte Lena nun wissen.
„Dazu nimmt man die roten Beeren, weicht sie in Wasser ein und entfernt die Schale. Trocknet man sie nun, erhält man weißen Pfeffer – der übrigens nach dem grünen Pfeffer der Zweitschärfste ist.“
Lena sog die Informationen, die sie von Aaliyah erhielt, regelrecht in sich auf. Sie wollte alles wissen, um irgendwann einmal eine gute Gewürzfarmerin zu werden. Doch bis es so weit war, würde noch einige Zeit ins Land gehen.
Trotzdem fühlte sie sich nun schon allein deshalb besser, weil sie einen Anfang gemacht hatte. Der erste Schritt war getan.
„Hat …“ Sie schluckte und kämpfte gegen die Tränen an, die ihr in die Augen stiegen. „Hat Andy auch so gut über all das Bescheid gewusst?“
Aaliyah lächelte verständnisvoll. „Ich habe mich schon gefragt, wann Sie anfangen würden, sich nach ihm zu erkundigen“, sagte sie. „Wollen wir uns nicht setzen?“
Sie deutete auf eine grob geschnitzte Bank, die im Schatten eines wuchtigen Baumes mit knorrigem Stamm stand, und Lena nickte.
Als sie saßen, klopfte Aaliyah mit der flachen Hand auf die Sitzfläche. „Der alte Mr Rafe hat diese Bank vor vielen Jahren geschnitzt. Und jetzt raten Sie einmal, wer ihm dabei geholfen hat.“
Erstaunt blickte Lena sie an. „Sie meinen …?“
„Ja, genau … es war Andy. Ich war damals etwa sechzehn Jahre alt, und er muss so um die neun gewesen sein. Seine Mutter ist fast verrückt geworden vor Sorge, als sie mitbekam, dass Mr Rafe ihm ein Schnitzmesser in die Hand gedrückt hat. Aber Mr Rafe meinte nur, dass er ja schließlich kein kleiner Junge mehr sei – und damit hatte er bei Andy natürlich gleich einen Stein im Brett.“
„Das kann ich mir vorstellen!“ Lena lachte. „Welcher Neunjährige hört so etwas nicht gern? Was können Sie mir noch über ihn erzählen?“
Aaliyah fuhr sich über ihr grau meliertes Haar, das sie heute zu einem geflochtenen Zopf zusammengefasst trug. „Da gibt es so vieles … Aber dafür sollten wir uns ein bisschen mehr Zeit nehmen. Wir könnten uns ja in den nächsten Tagen, wenn der große Trubel wegen des Festes vorüber ist, alle einmal abends zusammensetzen und austauschen. Einige der anderen kannten Andy noch sehr viel besser als ich. Meine Cousine Ngabile zum Beispiel kann Ihnen sicher einiges über ihn berichten. Sie und Andy waren fast gleichaltrig, und sie hat viel Zeit mit ihm und seinen Freunden verbracht.“
Obwohl Lena ein wenig enttäuscht war, lächelte sie. „Sie haben recht, im Moment haben wir wirklich alle Hände voll zu tun. Und ich sollte Ihnen jetzt auch nicht länger Ihre Zeit stehlen.“
„Das tun Sie nicht“, entgegnete Aaliyah lächelnd. „Schon wieder vergessen, dass Sie die neue Inhaberin von all dem hier sind?“
Lenas Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. „Erwischt“, gab sie zu und deutete auf einen Baum, an dem bereits einige Männer auf Leitern zugange waren und irgendetwas zu ernten schienen – nur dass Lena nicht erkennen konnte, worum es sich handelte. „Was ist das für ein Baum?“
„Das“, erklärte Aaliyah mit einem Anflug von Stolz in ihrer Stimme, „ist der Baum, der diese Insel einst auf der ganzen Welt berühmt gemacht hat.“ Sie trat näher an den Stamm heran und rief einem der Arbeiter – einem etwa siebzehnjährigen Jungen – etwas auf Kiswahili zu. Daraufhin kletterte der so flink und geschickt wie ein Äffchen die Leiter hinunter und reichte Lena einen Trieb, an dem gut ein Dutzend
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