Wo die Nelkenbaeume bluehen
Lena gar nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie nicht doch einen Fehler gemacht hatte, sich so unüberlegt in ein Abenteuer zu stürzen, das sie nicht zu überblicken vermochte.
Das jedenfalls war es, was Patrick ihr bei jedem ihrer kurzen Telefonate, die sie in den vergangenen Tagen geführt hatten, vorbetete. Er drängte sie dazu, Vernunft anzunehmen, sich einen Käufer für die Farm zu suchen und mit dem nächsten Flieger zurück nach Berlin zu kommen. Obwohl diese Option für sie nicht infrage kam, verspürte sie doch immer wieder Zweifel an ihrer Entscheidung.
Zweifel, die sich aber jedes Mal sofort in Luft auflösten, wenn sie mit Aaliyah und den anderen sprach. Sie verdienten es, dass jemand sich für sie einsetzte. Und außer ihr gab es niemanden, der diese Aufgabe hätte übernehmen können.
Stephen war dafür nun wirklich nicht der richtige Kandidat. Auch wenn er nicht der skrupellose Geschäftsmann zu sein schien, für den sie ihn zuerst gehalten hatte. Es war sehr großzügig von ihm gewesen, Hashim und seine Freunde nicht der Polizei zu übergeben, obwohl sie mit ihrer Aktion all seine Pläne durchkreuzt hatten.
Aaliyah hatte ihr erzählt, wie besessen er davon war, das Grundstück der Spice-Farm für sein Hotelprojekt zu kaufen. Sie wusste nicht warum, aber dieses spezielle Vorhaben schien ihm viel zu bedeuten. So viel, dass er sich sicher nicht von diesem Rückschlag entmutigen ließ.
Doch das war nicht der einzige Grund, warum der Gedanke, dass er übermorgen zum Fest kommen würde, Lena nervös stimmte.
Er mag besessen von diesem Grundstück sein, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf hämisch. Aber was ist mit dir? Bist du nicht auch besessen? Und zwar von ihm?
Sie kniff die Augen zusammen, so fest, dass Sterne vor ihren Netzhäuten explodierten. Der Gedanke gefiel ihr nicht, auch wenn sie zugeben musste, dass er durchaus ein Körnchen Wahrheit enthielt.
In den vergangenen Tagen hatte sie viel an Stephen denken müssen, obwohl sie es gar nicht wollte. Er erschien inzwischen nicht nur nachts in ihren Träumen. Nein, auch tagsüber schlich er sich in ihre Gedanken, immer dann, wenn sie gerade nicht mit etwas anderem beschäftigt war.
Sie wollte es nicht. Stephen war nur ein Mann, der zufällig ihren Weg gekreuzt hatte. Er bedeutete ihr nichts. Er durfte ihr nichts bedeuten. Andys Tod lag gerade einmal ein paar Monate zurück. Sie durfte sein Andenken nicht so in den Schmutz ziehen.
„Ach hier sind Sie!“ Als Aaliyahs Stimmte von der Tür her erklang, zuckte Lena erschrocken zusammen, doch sie fing sich rasch wieder.
Sie drehte sich um und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Haben Sie nach mir gesucht?“
Aaliyahs Lächeln verblasste, als sie Lena anschaute. Sorge zeichnete sich auf ihrer Miene ab. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie und trat näher. „Sie haben ja geweint!“
„Was? Ich …“ Lena fuhr sich mit der Hand über die Augen und war erstaunt, als sie Feuchtigkeit fühlte. Tatsächlich. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass ihr die Tränen gekommen waren. „Es ist nichts. Machen Sie sich keine Gedanken.“
Doch damit gab Aaliyah sich nicht zufrieden. Sie griff nach Lenas Hand. „Kommen Sie, setzen wir uns.“
Sie nahmen auf dem Rand der Matratze Platz. Aaliyah schaute sie fragend an. „Nun? Was bedrückt Sie?“
Lena schwieg zunächst. Ihr Blick schweifte durch den Raum mit seinen vergilbten, abblätternden Tapeten, dem alten Kleiderschrank, der nur noch einen Türflügel besaß und wacklig auf drei Beinen stand, und dem stockfleckigen Spiegel. Fast in allen Zimmern, die nicht von Rafe Bennett oder Aaliyahs Familie genutzt worden waren, sah es ganz ähnlich aus. Und das war ja nicht das Schlimmste.
In Deutschland wäre ein Gebäude wie dieses vermutlich längst der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Praktisch überall mussten dringend notwendige Reparaturarbeiten durchgeführt werden. Das Dach war an einigen Stellen so löchrig, dass man vom Boden aus ungehindert den Himmel sehen konnte. Durch diesen Umstand war Feuchtigkeit ins Haus eingedrungen, hatte Balken aufgeweicht und Böden morsch werden lassen. Es grenzte an ein Wunder, dass nicht überall Schimmel blühte!
Dass immer einmal wieder der Strom ausfiel, gehörte auf Sansibar dagegen zur Tagesordnung, wie Lena inzwischen wusste. Doch damit arrangierten sich die Menschen ebenso wie mit der Tatsache, dass es längst nicht überall fließend Wasser gab. Selbst
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