Wo die Nelkenbaeume bluehen
Tournürenkleid schmutzig wurde. Was kümmerte sie das jetzt noch? Ihre ganze Welt stand Kopf. Tränen strömten ihr über die Wangen.
Was sollte sie jetzt tun?
Ihr erster Gedanke war, ihren Eltern zu schreiben und sie um Geld für eine Rückreise nach Hamburg zu bitten. Aber dann wurde ihr klar, dass das nicht so einfach sein würde. Albrecht war dem Gesetz nach ihr Ehemann, ganz gleich, was auch zwischen ihnen vorgefallen sein mochte. Und sie kannte ihre Eltern gut genug, um zu wissen, dass sie eine Trennung – aus welchen Gründen auch immer – niemals gutheißen würden.
Ein verzweifeltes Schluchzen schnürte ihr die Kehle zu. Sie musste zurückgehen. Zurück zu Albrecht. Ihr blieb gar keine andere Wahl, denn sie verfügte weder über eigenes Vermögen, noch hatte sie Freunde, bei denen sie notfalls eine Weile lang bleiben konnte. All ihre Bekannten hier auf Sansibar waren im Grunde Albrechts Bekannte. Außer Celia – und Annemarie glaubte nicht, dass ihre ehemalige Reisegefährtin großes Verständnis für ihre Situation aufbringen würde.
Davon abgesehen war es nicht ihre Art, sich einfach so aus der Affäre zu ziehen. Nein, Zorah und Nahiba vertrauten darauf, dass sie sie beschützte. Wenn sie jetzt einfach davonlief, wären sie und alle anderen Mitglieder ihres Haushalts Albrechts Launen schutzlos ausgeliefert.
Das konnte sie einfach nicht zulassen.
Sie blinzelte die Tränen fort und straffte die Schultern. „Sei kein Feigling!“, sagte sie zu sich selbst.
Zum ersten Mal, seit sie kopflos aus dem Haus gestürmt war, blickte sie sich um. Sie befand sich in einer schäbigen, düsteren Gasse, durch die der Himmel nur als schmaler, rasch dunkler werdender blauer Streifen zwischen den Hausdächern hindurchschimmerte. Fliegen umschwirrten mehrere undefinierbare Lumpenhaufen, die sich neben heruntergekommenen Hintertüren häuften. Ein stechender Geruch ging von ihnen aus. Eine widerwärtige Mischung von Unrat, der den ganzen Tag in der Sonne gelegen hatte, und menschlichen Ausscheidungen.
Aus den Fenstern drang flackernder Kerzenschein. Vereinzelte Gesprächsfetzen waren zu hören. Ganz in der Nähe hallten laute Stimmen, die irgendein Lied grölten. Das Gejohle von Betrunkenen.
Und dann erschienen die Männer am Ende der Gasse.
Annemarie sah sie nur als Umrisse, die sich scharf gegen das Licht der sinkenden Sonne in ihrem Rücken abzeichneten. Es waren bullige, grobschlächtige Gestalten.
„Hey, Gnädigste!“, rief einer ihr zu – er sprach Englisch mit starkem Akzent. „Hast dich wohl verlaufen, was? Aber keine Sorge, wir werden dir schon zeigen, wo’s langgeht, was, Jungs?“
Dafür erntete er brüllendes Gelächter von seinen drei Kumpanen. Dem unsteten Gang nach waren sie alle trotz der frühen Abendstunde schon stark angetrunken.
Annemarie raffte ihren Rock und wollte in entgegengesetzter Richtung davongehen. Zu spät bemerkte sie, dass sie sich in einer Sackgasse befand.
Der einzige Weg hinaus führte vorbei an den Betrunkenen, die sich langsam, aber stetig näherten.
Ruhig, ermahnte sie sich selbst. Ganz ruhig … Doch es war vergebliche Liebesmüh. Vielleicht machten die Männer sich nur einen Spaß daraus, ihr einen Schreck einzujagen. Möglicherweise – und das war viel wahrscheinlicher – sahen sie in ihr aber auch eine leichte Beute. Und Annemarie wollte sich lieber gar nicht erst vorstellen, was das bedeuten mochte.
Ihr blieb nur die Flucht nach vorne.
Sie setzte eine, wie sie hoffte, eiserne Miene auf und marschierte entschlossenen Schrittes geradewegs auf die Trunkenbolde zu. Im ersten Moment sah es tatsächlich so aus, als wäre ihre Strategie erfolgreich. Die Männer wichen vor ihr zur Seite, ihre schmutzigen Gesichter, die Annemarie jetzt deutlich erkennen konnten, angesichts ihres forschen Auftretens verunsichert.
Doch das Überraschungsmoment währte einen Lidschlag zu kurz. Gerade als Annemarie zum Laufen ansetzte, spürte sie, wie jemand sie am Arm packte und festhielt.
Sie wurde zurückgerissen und fand sich im Klammergriff eines der Männer wieder. Der ekelerregende Gestank nach Schweiß, kaltem Rauch und billigem Fusel hüllte sie ein und raubte ihr die Luft zum Atmen. Bittere Galle stieg ihr die Kehle hoch. Sie keuchte erstickt auf.
„Hey, nicht so schnell, Gnädigste“, knurrte der Mann direkt an ihrem Ohr. „Wer wird’s denn so eilig haben? Woll’n wir uns nicht erst mal ein bisschen miteinander amüsieren?“
„Lassen Sie mich auf der Stelle
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