Wo die toten Kinder leben (German Edition)
die Herbstsonne hinter dichten Wolken. Alles wirkte grau und kalt.
Ich gab Wagner den zweiten Becher und goss uns ein. „Der Kaffee ist schwarz, ich habe keinen Zucker.“
„Das macht nichts“, meinte Wagner, „Hauptsache heiß.“
Wir nahmen beide einen Schluck. Das Gebräu schmeckte stark und bitter, aber es war in dieser Situation genau das Richtige.
„Eine junge Frau verbrennt sich selbst und Sie stellen eine Sonderermittlerin ein“, begann ich. „Ich bin nicht gerade billig, aber das mag ja für Ihre Kirche keine Rolle spielen. Dann begeht noch jemand Selbstmord und ein Prälat erscheint sofort auf dem Schauplatz. Wie muss ich diese Situation einschätzen?“
Wagner nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. Diesmal wollte er eindeutig Zeit gewinnen. Er setzte den Becher ab und drehte ihn zwischen seinen Fingern. „Der Kirche geht es im Moment nicht so gut. Wir müssen aufpassen. Sie wissen schon…, die Sache mit den Kirchenaustritten und dann die Fälle von Kindesmissbrauch. …Nein, wir können uns keine weiteren Skandale leisten, die unsere Gläubigen verunsichern.“
„Ihre Gläubigen verunsichern? Deshalb wird jeder Selbstmord untersucht?“
„Wir wollen keine neuen Problemfelder aufreißen.“
„ Problemfelder ? So wie ich das sehe, kann man niemanden daran hindern, Suizid zu begehen. Wenn sich jemand dazu entschlossen hat, dann zieht er es auch durch. Das ist meiner Meinung nach eine sehr persönliche Entscheidung, da gibt es keine Schuldigen .“
Wagner schwieg.
„Allerdings“, fuhr ich fort, und mein Tonfall ließ Wagner aufhorchen, „allerdings finde ich die Begleitumstände bei beiden Fällen doch recht seltsam.“
Ein älterer Audi, tiefergelegt, mit auffälligen Aluminiumfelgen und seitlichen Rallyestreifen, bog in unsere Parkbucht ein, hielt an und ein junger Mann stieg aus. Er rannte zu einer nahen Baumgruppe, blieb davor stehen und begann, von uns abgewandt zu urinieren. Zwei weitere Männer kletterten aus dem Wagen. Auch sie waren jung, weit unter dreißig. Sie sprachen lauthals miteinander und lachten schallend.
Mein Instinkt begann, mir deutliche Warnsignale zu senden.
„Es ist besser, wenn wir jetzt gehen“, sagte ich.
„Nein“, erwiderte Wagner, der viel zu sehr mit unserer Unterhaltung beschäftigt war, als dass er von seinem Umfeld Notiz genommen hätte. „Wir sollten das ausdiskutieren. Sie vermuten einen besonderen Grund, warum wir uns derartig um die Vorfälle kümmern.“
„Das stimmt“, pflichtete ich ihm bei, ohne die Neuankömmlinge aus den Augen zu lassen.
„Wie gesagt, wir nehmen unsere seelsorgerische Pflicht ernst“, fuhr Wagner fort.
Die drei Männer standen jetzt zusammen und richteten ihre Blicke auf uns. Sie sprachen miteinander, aber sie redeten nicht mehr laut.
Einer der Männer löste sich aus der Gruppe und schlenderte uns entgegen. Er blieb dicht vor uns stehen. Erst jetzt bemerkte ihn Wagner.
„Hallo“, sagte der junge Mann.
Wagner grüßte mit dem Kopf zurück, ich reagierte nicht.
Der junge Mann hatte kurzgeschorene Haare und trug eine goldene Kette um den Hals. Die Arme, die aus seinem T-Shirt hervorschauten, waren muskulös und sehnig. Er beugte sich vor und beäugte Wagner. „Das habe ich doch richtig gesehen, du bist ein Priester.“
„Ganz genau“, antwortete Wagner.
„Und dann sitzt du hier mit so einer geilen Tusse?“, er deutete auf mich.
Wagner erwiderte nichts.
„Weißt du denn nicht, dass du dich nicht um Frauen kümmern sollst? Ihr habt doch das… wie nennt man das doch gleich…Zoll…, Zölla… - ach, egal! Ihr dürft jedenfalls mit Frauen nicht … ficken ! Und wie ich gehört habe, steht ihr sowieso mehr auf kleine Jungs.“
Ich trank von meinem Kaffee und stellte ihn bedächtig auf die Tischplatte zurück. Der Mann drehte sich von Wagner ab, um mich von oben bis unten zu mustern.
„Na, Süße, hast du Lust?“, fragte er mit eindeutigem Grinsen.
„Kleiner“, sagte ich zu ihm, „wenn du brav zu deinen Freunden zurückgehst, passiert dir nichts. Dann tun wir so, als hätten wir nichts gehört!“
„Ha!“, rief der Blonde und wandte sich an seine Kumpane. Dabei strotzte er nur so vor Selbstbewusstsein. „Die Alte kann ja sprechen!“ Und an mich gerichtet: „Ich hab‘ gedacht, ihr Nutten haltet immer das Maul, wenn ihr nicht gerade am Blasen seid, und das einzige was ihr könnt, ist stöhnen!“
„Wie gesagt“, wiederholte ich. „Wenn du schön artig bist und zu deinen
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