Wo die toten Kinder leben (German Edition)
eindeutig.“
„Ah, mit Pillen. Und dann?“
„Sich aus dem Fenster oder von einer Brücke stürzen, das ist auch ziemlich beliebt - wobei da ein großer Abstand zu den Tabletten ist. Die Selbstmordkandidaten haben zwar vor, sich umzubringen. Aber sie wollen ihren Tod nicht wirklich mitbekommen. Ihr Ziel ist es in der Regel, sanft hinüberzuwechseln. Schmerzen und ein bewusst erlebter Todeskampf– das wählt nur ein bestimmter Typus Mensch für sein Ende aus. Jemand, der – wenn Sie so wollen – für etwas sühnen möchte.“
Jemand, der für etwas sühnen möchte – wiederholte ich die Worte des Arztes in meinem Kopf, während ich an Cornelia und Bernhard und ihre Wunden dachte. Ich gab meinem Gesicht einen mitfühlenden Ausdruck. „Haben Sie schon einmal erlebt, dass sich jemand bei lebendigem Leibe anzündet?“
Der Glatzköpfige betrachtete mich aufmerksam. „Wieso fragen Sie das?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Nur so. Gestern stand in der Zeitung, dass sich jemand selbst verbrannt hat.“
„In welcher Zeitung?“, hakte der Arzt nach und sein Ausdruck wurde misstrauisch. „Mir ist das nicht aufgefallen.“
„Ach“, wiegelte ich ab, „das ist nicht so wichtig. Und ich will Sie auch nicht länger aufhalten.“ Ich wandte mich zum Verwaltungsmitarbeiter: „Ich gebe Ihnen meine E-Mail-Adresse und Sie schicken mir eine Aufstellung an mein Büro. Ich brauche Angaben, was alles abhanden gekommen, beziehungsweise zerstört worden ist. Wir werden den Schaden dann zügig begleichen.“
Der Mitarbeiter nickte.
„Ich denke, so kommen wir am schnellsten voran“, fuhr ich fort. „Ich habe mir jetzt einen Eindruck vom Zustand des Zimmers verschafft. Das müsste reichen.“
Der Verwaltungsmitarbeiter begleitete mich hinaus, wobei er mir ein paar Anekdoten über den glatzköpfigen Arzt verriet, der erst seit einigen Monaten im Krankenhaus arbeitete. Schließlich geleitete er mich durch die Pforte.
Ich verabschiedete mich, ging zu meinem Golf und sperrte die Tür auf.
Kaum saß ich im Auto, als ein Wagen neben mir hielt. Die Fahrerin stieg aus und ging zielgerichtet auf den Eingang zu. In ihrer Hand trug sie einen Aktenkoffer. Nach der Firmenaufschrift ihres PKWs zu urteilen, handelte es sich um die Vertreterin der Versicherungsgesellschaft.
Ich startete meinen Golf und machte, dass ich davon kam.
11
P rofessor Satorius wohnte in einem Haus aus der Gründerzeit, das in einem Villenviertel stand. Wagner wartete bereits davor, als ich meinen Golf zum Stehen brachte.
„Wo haben Sie Ihr Auto geparkt?“, fragte ich ihn zur Begrüßung.
Wagner lächelte. Er wirkte ein klein wenig verlegen. „Ich besitze keinen Führerschein.“
„Sie haben keinen Führerschein?“
„Nein. Entweder komme ich zu Fuß an mein Ziel, oder ich nehme ein Taxi.“
„Was für eine versnobte Einstellung!“, sagte ich. „Ihre reichen Eltern haben Sie wohl zu sehr verwöhnt.“
Schlagartig verschwand das Lächeln aus Wagners Gesicht. Es kam mir vor, als hätte ich ein Thema angeschnitten, das ich besser hätte vermeiden sollen.
Wir waren gerade durch das schmiedeeiserne Gartentor getreten, als die schwere Eingangstür aus Eiche geöffnet wurde. Ein schlanker Mann, rund siebzig, stand auf der Schwelle und beäugte mich kritisch. Als er meinen Begleiter sah, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Hallo Paul!“, sagte er.
„Lorenzo!“ - Wagner wandte sich mir zu. „Frau Steinbach, ich möchte Ihnen Lorenzo Falcone vorstellen, der…, der aus Professor Satorius Leben nicht wegzudenken ist.“
Ich verstand nicht sofort, was Wagners Umschreibung bedeuten sollte und um die braunen Augen Lorenzos bildeten sich kleine Lachfältchen. „Sie müssen verzeihen, Frau Steinbach. Paul legt stets allergrößten Wert auf Diskretion. Ich hingegen, nehme ungern ein Blatt vor den Mund. Ich bin Sekretär, Koch, Vertrauter und Lebenspartner des Professors.“
Lorenzo wartete ab, welchen Eindruck seine Worte auf mich machten. Er war mir auf Anhieb sehr sympathisch und er schaffte es spielend, das von meinem Gesicht abzulesen. Seine Lachfältchen vertieften sich und seine Augen strahlten Wärme aus.
„Schön“, sagte ich. „Herr Falcone, es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.“
„Nennen Sie mich Lorenzo, mia cara“, bat er mit seiner melodiösen Stimme, in der ein italienischer Akzent mitschwang.
Ich reichte ihm die Hand.
„Na, dann kommt mal herein. Der Professor wartet schon auf
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