Wo die toten Kinder leben (German Edition)
euch.“
Wir durchschritten den großzügigen Eingangsbereich, der offensichtlich als Garderobe diente und betraten anschließend einen Raum, mit der größten Bibliothek, die ich jemals in einem Privathaus gesehen hatte. Unzählige leinen- und ledergebundene Bücher in allen möglichen Größen bedeckten sämtliche Wände. Der Boden bestand aus schmucklosem aber zweifelsohne extrem teurem Parkett. Mehrere Ledersessel gruppierten sich um einen offenen Kamin.
Lorenzo führte uns durch eine weitere Tür. Wir durchquerten ein Esszimmer in dessen Hintergrund ich eine professionell wirkende Küche ausmachen konnte, die lediglich durch einen Tresen abgetrennt war. Dann gelangten wir in einen Wintergarten, der mehr einem Gewächshaus glich. Trübes Herbstlicht drang durch die deckenhohen Fenster. Überall im Raum standen Orchideen und andere exotische Blühpflanzen, deren Namen ich nicht kannte. Die Luft kam mir angenehm weich vor. Hier war es warm, wie an einem milden Frühsommertag, und ein filigraner Duft umgab uns.
Ein kräftiger Mann mit weißen Haaren arbeitete an einem Laptop. Er saß mit dem Rücken zu uns. Als er uns kommen hörte, betätigte er einen Hebel an seinem Rollstuhl und fuhr herum, um uns zu begrüßen.
„Frau Steinbach“ – es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
Ich nickte.
„Ich habe schon viel von Ihnen gehört“, sprach er weiter.
Ich wusste nicht, ob das etwas Gutes zu bedeuten hatte und bemühte mich um ein Lächeln. „Ich nehme an, Sie sind Professor Satorius?“, erwiderte ich.
Jetzt nickte der Professor. „Selbstverständlich haben Sie mich gegoogelt“, stellte er trocken fest.
„Selbstverständlich habe ich das, sobald mir Herr Wagner angekündigt hatte, dass wir Sie heute besuchen werden. Aber ich habe nicht allzu viel erfahren“, gab ich ihm mindestens ebenso trocken zurück und er schien amüsiert.
„Paul“, fuhr Professor Satorius fort und wandte sich Wagner zu. „Schön, dass du wieder einmal zu uns gefunden hast. Lorenzo hat sich schon Sorgen gemacht, insbesondere seit gestern Abend, als du uns von deiner Verletzung am Telefon erzählt hast.“
Paul brachte ein entschuldigendes Lächeln zustande. „Du weißt doch, Prof, ich war beschäftigt.“
Lorenzos Stimme klang besänftigend. „So haben wir dich aber nicht erzogen, junger Mann, dass du uns mit Ausflüchten kommst. Wie geht es deinem Hals?“
Paul rückte sich den Kragen zurecht, um die verräterischen Pflaster zu verdecken. „Ach“, wiegelte er ab, „halb so wild. Frau Steinbach passt gut auf mich auf und hat mich bestens verarztet.“
Der Blick des Professos eilte von Paul zu mir. „Allem Anschein nach müssen wir Ihnen dankbar sein, Frau Steinbach.“
„Müssen Sie nicht. Wenn ich es richtig verstehe, gehört es zu meinem Job“, meinte ich betont beiläufig.
Die Augen des Professors hielten mich länger fest, als mir lieb war. Sie strahlten vor starker Willenskraft und straften sein wahres Alter Lügen.
„Aber was bin ich nur für ein Gastgeber!“, sagte er schließlich. „Wollen Sie nicht vielleicht Platz nehmen?“ Er wies auf eine Sitzgruppe aus Rattan.
Der geflochtene Sessel quietschte leicht unter meinem Gewicht, aber er war bequem.
Lorenzo war stehen geblieben und sah uns fragend an. „Möchtet ihr beide etwas trinken? Der Professor und ich nehmen um diese Zeit immer unseren Tee. Aber zumindest für Paul ist das nichts. Er hasst Tee. …Ich kann auch mit Kaffee dienen.“
„Ein Kaffee wäre wunderbar“, sagte Wagner und ich bestätigte mit einem kurzen Lächeln in Lorenzos Richtung.
„Frau Steinbach, Sie sind nicht mehr bei der Polizei“, nahm Satorius das Gespräch wieder auf, während Lorenzo in die Küche ging.
„Das ist korrekt. Diese Phase meines Lebens liegt hinter mir.“
Die wasserblauen Augen von Satorius waren erneut auf mich geheftet. Langsam kam ich mir wie in einem Verhör vor.
„Aber Sie tragen eine Waffe.“
„Wie es der Zufall so will, habe ich heute früh meine Lizenz zurückbekommen.“
„Ach“, sagte er und seine Miene war gespielt unschuldig.
„Ich war sehr erfreut, aber ich weiß nicht, bei wem ich mich bedanken soll.“
Satorius lächelte. „Bedanken Sie sich am besten bei Paul, er kann sehr überzeugend sein.“
Schweigen senkte sich auf uns herab und Satorius machte keine Anstalten, die Stille zu durchbrechen. Mir gefiel es, so dazusitzen – in der Wärme, umgeben von den exotischen Pflanzen und abgeschirmt von der Welt.
Lorenzo
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